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50 Jahre Berufsverbote

„Dann ist der Rausschmiss nur ein Klacks“

Die Anwendung des Radikalenerlasses am Beispiel meiner Entlassung

Schüler:innen kämpfen für ihre Lehrerin

Wie so ein Berufsverbot auf der Grundlage des Radikalenerlasses einen großen Teil des Lebens eines Menschen bestimmen kann, lässt sich gut am Ablauf der Ereignisse nachvollziehen:

Mein Entlassungsverfahren (Grund: Unterstützung des Kommunistischen Bundes Westdeutschland – KBW) zog sich von der Aufforderung zum ersten Dienstgespräch bis zur endgültigen Entlassung von 1975 bis 1981 hin, die juristischen und politischen Auseinandersetzungen um die Wiedereinstellung von 1981 bis 1985. Im Endeffekt kam es nie zur Wiedereinstellung zu den Bedingungen, wie sie vorher waren. Zunächst gab es 1985 über einen gerichtlichen Vergleich (Arbeitsgericht) eine halbe Angestelltenstelle und erst nach einigen Jahren durch ein persönliches Gespräch mit dem dann zuständigen Bildungssenator Henning Scherf die zweite halbe Stelle. Insgesamt waren im Laufe der Jahre fünf (!) Bildungssenator:innen mit der Angelegenheit beschäftigt: Thape, Franke, von Hassel, Scherf, Kahrs.

Vehementer Kampf

Im Laufe des Verfahrens waren es leider dieselben Personen, die einerseits als GEW-Funktionäre den Ausschluss aus der GEW auf der Grundlage der Unvereinbarkeitsbeschlüsse und andererseits als leitende Mitarbeiter der senatorischen Behörde die Entlassung betrieben und schließlich durchsetzten. Am Rande einer Delegiertenkonferenz des GEW-Bezirks Bremen-Ost kündigte der dortige Vorsitzende Mews offen vor etlichen Kolleg:innen der von der Entlassung bedrohten Lehrerin an: „Erst werfen wir Sie aus der GEW raus, dann ist der Rausschmiss aus dem Schuldienst nur noch ein Klacks!“ Als Landesschulrat hat er das später zusammen mit anderen Behördenvertretern wahr gemacht.

Dass es allerdings dann doch noch sehr schwierig für die Bildungsbehörde wurde, diese Entlassung zu realisieren, ist dem vehementen und ausdauernden Kampf der Schule und vieler GEW-Mitglieder zu verdanken, die sich sowohl gegen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse als auch gegen den Radikalenerlass wandten. Sie vertraten den Standpunkt, dass der Dienstherr kein Recht habe, den Bediensteten hinterher zu schnüffeln und ihnen das Recht auf Meinungs-, Versammlungs- sowie Organisationsfreiheit zu verwehren. Es gab Konferenzbeschlüsse, Demonstrationen, Petitionen und eine überaus geschlossene Haltung der gesamten Schule der Betroffenen, der Gesamtschule Bremen Ost (GSO), Eltern, Schülerschaft, Kollegium, Schulleitung. Aber auch Organisationen, Institutionen, Pastor:innen und Medien stellten sich an meine Seite.

Nullabrechnung im Brieffach

In der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurden die meisten Entlassungen aus dem bremischen Schuldienst durchgeführt. Trotz vehementer Kämpfe an der GSO kam auch mein Entlassungsbescheid im November 1979 gegen Ende der Mutterschutzfrist. Die Schule befürchtete, dass der Vollzug der Entlassung zum 31.12. geplant sei, und alle kündigten an, nicht in die Weihnachtsferien zu gehen, sondern das Fest in der GSO zu verbringen, um die Lehrerin an der Schule zu halten. Dies bewirkte, dass der Senat zusichern musste, vom üblichen Sofortvollzug abzusehen, solange die Entlassung nicht gerichtlich bestätigt war. Es folgten zwei schwierige Jahre des Prozessführens. Nach der zweiten Instanz, die vor dem Oberverwaltungsgericht (ohne mündliche Verhandlung) verloren wurde, gab es am 7.12.1981 meine Nullabrechnung des Gehaltes im Brieffach im Lehrer:innenzimmer. Damit teilte die senatorische Behörde mit, dass ich entlassen war. Das entsprach einem Vorgang, mit dem man einen Stuhl aus dem Bestand streicht.

Arbeitsgericht und Angestelltenvertrag

Heftige Auseinandersetzungen und Demonstrationen, die dann folgten, konnten die Rücknahme dieser Entlassung nicht erreichen. Auch die GEW schaltete sich wieder ein: Die BLZ 2/82 titelte mit einer Persiflage auf den das Berufsverbot schließlich praktisch durchsetzenden Senator von Hassel und berichtete in etlichen Artikeln über meinen Fall. Auch in den Folgejahren gab es immer wieder Veröffentlichungen der GEW in Bremen zu dem Thema Berufsverbote.

Als 1984 und 1985 zwei Prozesse vor dem Bremer Arbeitsgericht in Sachen Ebba van Ohlen-Linke und Barbara Larisch zu Angestelltenverträgen der beiden Lehrerinnen führten, nahm das die GEW Bremen in einem behördenkritischen Kommentar in der BLZ auf. Als ich nach vielen Umwegen wieder im bremischen Schuldienst arbeiten „durfte“, wurde ich von GEW-Vorstandsmitgliedern gebeten, wieder Mitglied zu werden. Seitdem erinnert die GEW an die Notwendigkeit der Rücknahme des Radikalenerlasses. Zum 40. Jahrestag nahm der Hauptvorstand auf einer bundesweiten Veranstaltung in Göttingen die Unvereinbarkeitsbeschlüsse offiziell zurück. Gleichzeitig gab es einen Beschluss der Bremischen Bürgershaft, die hiesigen „Richtlinien zur Feststellung der Verfassungstreue …“ aufzuheben und mit den Betroffenen „einen ideellen Abschluss zu finden“. Für vier dieser Betroffenen wurden in Bremen die Berufsverbotsjahre bei der Berechnung der VBL-Rente nachträglich berücksichtigt, was sicherlich keine wirkliche Wiedergutmachung ist, aber tatsächlich einen ideellen Abschluss bedeutet.