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Geschichte

Bremer Schuldemokratie 1919 - 1933

Ein vergessenes Kapitel

Bei der Demokratisierung der Schulverfassung spielen seit jeher die Art der Schulleitungsfindung und die Rechte der Konferenzen eine zentrale Rolle. Mit dem  Schulverwaltungsgesetz von 2006 sind in Bremen die Voten der Konferenzen bei der Auswahl der Schulleitung abgeschafft worden. Die offizielle Begründung: Das bisherige Verfahren sei zu umständlich und nicht effizient gewesen. Mit einer solchen Begründung wurde schon oft gegen demokratische Errungenschaften argumentiert.

Wenig bekannt dürfte sein, dass das 2006 abgeschaffte Verfahren eine lange Vorgeschichte demokratischer Bestrebungen hat, die bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts zurückreichen. Schon 1910 hatte der Bremische Lehrerverein (BLV) die Abschaffung des kaiserzeitlichen „Vorsteheramtes“ und eine Mitbestimmung des Kollegiums bei der Schulleitungsfindung gefordert. Nach der Novemberrevolution von 1918 bestand die Chance auf eine Umsetzung.

Die „kollegiale Schulleitung“ in der Weimarer Republik

Nachdem am 14. November 1918 der Arbeiter- und Soldatenrat die Regierungsgewalt übernommen hatte, wählte am 23. November eine Versammlung aller Lehrerinnen und Lehrer mit ca. 1800 TeilnehmerInnen einen „Lehrerrat“ und eine „Lehrerkammer“. Der Arbeiter- und Soldatenrat hatte einen „Bildungsausschuss“ eingesetzt, dessen Vorsitzender Hermann Böse war. Am 07. Januar 1919 verfügte der Ausschuss neben der Abschaffung des Religionsunterrichts und der Wiedereinstellung der vor 1914 aus politischen Gründen entlassenen sozialdemokratischen Lehrkräfte die Wahl der Schulleiter durch das Kollegium. Schon wenig später, am 04. Februar, wurde die Bremer Räterepublik durch die militärische Intervention der Reichsregierung niedergeschlagen. Es wurde eine provisorische Regierung eingesetzt. Diese bestätigte zunächst die Verordnung des Bildungsausschusses des Arbeiter- und Soldatenrates. Die weiteren schulpolitischen Entscheidungen waren jetzt von der am 09. Februar gewählten bremischen Nationalversammlung zu treffen.

Der größte Erfolg der Lehrerkammer war im Oktober 1919 die Verabschiedung eines Gesetzes über die Schulleiterwahl durch das Kollegium. Die Wahlen wurden am 02. November durchgeführt. Die ihrer Ämter enthobenen Schulvorsteher, die sich zur Wahl stellten, wurden alle bis auf einen wiedergewählt. Ein Teil stellte sich nicht zur Wahl und schied aus dem Dienst aus. Die Vorsteher reichten gegen dieses Verfahren Klage beim Reichsgericht ein. Das Gericht erklärte 1923 zwar die Amtsenthebungen von 1919 für rechtswidrig, bestätigte aber das Wahlverfahren für die Zukunft als rechtsgültig. Bis 1933 blieb das leicht veränderte „Gesetz über die kollegiale Schulleitung und die Schulleiterwahl“ in Kraft. Die Umorganisation der Schulen durch die NS-Diktatur begann mit 39 Berufsverboten für kommunistische und sozialdemokratische Lehrkräfte und der Abschaffung der Schulleiterwahl.

Ein Erbe, an das nach 1945 bedingt angeknüpft wurde

Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges versuchten die US-Militärverwaltung und die Bremer Bildungsbehörde, die mehrheitlich aus 1933 entlassenen Lehrkräften bestand, in den Lehrplänen und beim Aufbau des Schulsystems demokratischen Grundsätzen Geltung zu verschaffen. Die Wahl der Schulleitung wurde allerdings nicht wieder eingeführt. Stattdessen wurde ein „Schulleiterfindungsausschuss“ eingerichtet, der eine Vorauswahl traf. Immerhin blieb aber das Recht des Kollegiums erhalten, über die Kandidat*innen ein Votum abzugeben. Mit dem Schulverwaltungsgesetz von 1978 wurde das Verfahren dahingehend modifiziert, dass jetzt neben der Gesamtkonferenz auch die Vertreter*innen der Eltern und der Schüler*innen Voten abgeben konnten. Als ein weiteres demokratisches Element sah dieses Gesetz die Befristung des Schulleiteramtes auf acht Jahre mit dem Recht auf Wiederwahl vor. Aufgrund der Klage einer Bremer Oberstudiendirektorin vor dem Bundesverfassungsgericht musste diese Befristung jedoch wieder aufgegeben werden.

Vordemokratische Verhältnisse seit 2006

Ungeachtet aller Änderungen blieb das Recht des Kollegiums auf ein Votum bis zur Neufassung des Schulverwaltungsgesetzes von 2006 durchgehend bestehen. Im BLZ-Kommentar zu Bildungssenator Willi Lemkes Gesetzentwurf hieß es damals: „Sein Leitbild für das Schulleiteramt ist der Filialleiter bei Schlecker oder Aldi: Mit allen Weisungsbefugnissen und Durchgriffsrechten nach unten, von Gremien nicht kontrollierbar, aber gleichzeitig höchst abhängig und schwach gegenüber der Konzernleitung.“ - Es ist nach den negativen Auswirkungen auf das Schulklima an der Zeit, das Votum der Gesamtkonferenz bei der Schulleitungsfindung, das 1918 erkämpft und nach 1945 weitergeführt wurde, wieder herzustellen.

Zum Weiterlesen über die Kämpfe der Bremer Lehrer*innen für eine demokratische Schulverfassung verweise ich auf meine BLZ-Artikelserie, die im letzten Jahr in erweiterter Form als Buch erschienen ist:

Vom Lehrerverein zur Bildungsgewerkschaft
1826 - 2016
Eine kurze Geschichte der Bremer GEW und ihrer Vorgängerorganisationen

Erhältlich im Buchhandel, in der GEW-Geschäftsstelle und im Bremer Schulmuseum.