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Bremen unter der Schuldenbremse

„Die aktuelle Politik ist widersprüchlich“

BLZ: 2007 hat die neue rot/grüne Koalition ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe betrieben und auf eine Föderalismusreform II gehofft, bei der Bremen in der Finanzverteilung besser gestellt wird. Was ist daraus geworden?

R. Hickel: Bremen ist mit der richtigen Vorstellung in die Verhandlungen gegangen, dass gemessen an der Wirtschaftskraft die Einnahmen stärker in dem Bundesland bleiben müssen, in dem sie erzeugt worden sind. Diese grundlegende Reform, zu der eigentlich der politische Auftrag verpflichtet hatte, ist in der Föderalismuskommission II nicht angegangen worden. Was übrig blieb, das war die Schuldenbremse, die trotz mangelnden Verstehens auch an den Stammtischen Anerkennung findet. Deshalb hat die Förderalismuskommission II auch versagt. Die Länder werden verfassungsrechtlich gezwungen, die Neuverschuldung ab 2020 auf Null zurückzuführen – und das ohne ökonomischen, ökologischen und sozialen Verstand. Das Land Bremen muss bis 2010 die derzeitige jährliche Neuverschuldung um über eine Milliarde abbauen. Um wenigsten eine kleine Hilfe zu geben, erhält das Land von 2011 bis 2019 jährlich Sanierungshilfen in Höhe von 300 Mio. € zum Abbau der Neuverschuldung. Die Schuldenbremse wird zum exogenen Disziplinierungsinstrument. Jährlich müssen aus den öffentlichen Haushalten 111 Mio. € herausgeschnitten werden. Dabei ist klar, dass damit die öffentliche Grundausstattung des Stadtstaats bedroht wird. Bremen hatte seine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht mit dem Ziel, Sanierungshilfen zur Altschuldenentlastung zu bekommen zurückgestellt.
Sicherlich ist klar, wer die Schuldenbremse nicht einhält, der verstößt gegen das Grundgesetz. Aber das ist die Folge dieser gesamtwirtschaftlich problematischen Schuldenbremse.
Die aktuelle Politik Bremens ist widersprüchlich. Einerseits wird die Einhaltung der Schuldenbremse geradezu zur „moralischen Pflicht“ erklärt. Dabei wird unter dem provokanten Titel „Tarifvorsorge“ im Finanzplan pro Jahr ein Zuwachs der Personalkosten von knapp einem Prozent Jahr bis 2014 vorgesehen. Die Beschäftigen geraten unter das Diktat der Schuldenbremse. Es gilt nicht mehr die Frage, was die angemessene Bezahlung im öffentlichen Dienst ist, wie die Stellenausstattung sein muss. Um diese „Fürsorge“ einzuhalten, wird mit dem Ausstieg aus dem Tarifvertrag (TVL) gedroht.
Andererseits lautet meine These: Die Schuldenbremse wird nicht nur in Bremen nicht eingehalten werden können. Da brauchen nur die Steuereinnahmen in einem Jahr einzubrechen und die ganze Rechnung wird zur Makulatur. Wir spüren auch in Bremen, dass mit dieser Austeritätspolitik die Grundfinanzierung von öffentlichen Aufgaben bedroht wird. Was nützt die Selbständigkeit eines Stadtstaats, wenn er sich den Verlust seiner fiskalischen Souveränität selbst verordnet. Die heutige Haushaltspolitik steht im Widerspruch zur verfassungsgemäßen Absicherung der Stadtstaaten als „Hauptstädte ohne Umland“ gegenüber den Flächenländern. Trotz einer Wertung von 1,35 der bundesdurchschnittlichen Finanzkraft für Bremerinnen und Bremer liegen die Primärausgaben pro Einwohner im Vergleich zu westdeutschen Ländern mit ihren Kommunen bereits unter 116%. Helmut Seitz, der verstorbene Finanzwissenschaftler hatte für Bremen die Mindestquote von 125% in einem Gutachten für den Bremer Senat abgeleitet. Und jetzt drohen die drei Geberländer auch noch damit, die Mittel aus dem Länderfinanzausgleich mit über 400 Mio. € im letzten Jahr zu streichen.
Die Strategie der Anpassung durch Schrumpfen macht keinen Sinn. Wir müssen die Debatte wieder vom Kopf auf die Füße stellen. Natürlich müssen wir eine sparsame Haushaltspolitik betreiben. Wo Geld falsch ausgegeben wird, da muss es Korrekturen geben. Aber dort, wo wir Ausgaben begründen können, z.B. im Bildungsbereich, in den Kitas und für die Universität, da muss man das auch sagen können. Man sollte nicht so tun, als könne man mit der Schuldenbremse den Zustand der Glückseligkeit simulieren bzw. den Eindruck erwecken, wir hätten noch zu viel Fleisch an den Knochen.
Aktuelle Äußerungen des Bremer Senats lassen die Rückkehr zu einer offensiven Position zur fiskalischen Besserstellung im Bundesstaat erkennen. Jens Börnsen weist in einem Schreiben an die drei großen Geberländer auf die Entlastung durch eine Übernahme der Altschulden hin. Die Finanzsenatorin, Karoline Linnert, sieht die Notwendigkeit, die derzeitige Einwohnerwertung von 1,35 % auf 1,45 % zu erhöhen. Das bringt jährlich mehr als 150 Mio. €.

„Durch eine Altschuldentopf würden die Länder entlastet“
BLZ: Aber was ist die Lösung?
R. Hickel: Ein eigenständiger Befreiungsschlag ist durch Steuererhöhungen und Ausgabenkürzungen nicht möglich. Oder wollen wir schon wieder die Hundesteuer erhöhen? Wir haben bei den kommunalen Steuern kaum Spielraum. Die Grunderwerbssteuer ist gerade schon erhöht worden.
Trotz der großen Widerstände durch den Bund und viele Bundesländer, wir brauchen eine Besserstellung im Finanzausgleich. Einige Maßnahmen
1. Der Bund muss die Kommunen von Sozialausgaben, die in den letzten Jahren kommunalisiert werden, entlasten.
2. Der Bundesgesetzgeber muss die hohen Einkommen und Vermögen auch durch eine Vermögensteuer stärker in die Pflicht nehmen. Dazu gehört auch die Schaffung einer einkommensstabilen kommunalen Wirtschaftssteuer über den Ausbau der Gewerbesteuer.
3. Die Einwohnerwertung, die der „Andersartigkeit des Stadtstaats“ Rechnung trägt muss erhöhte werden. Wie gesagt ein mehr an zehn Prozentpunkten bringt 150 Mio. € mehr.
4. Das Argument der Handelskammer gilt weiterhin. Die Steuerverteilung im Bundesstaat muss stärker an der regionalen Wirtschaftskraft ausgerichtet werden.
5. Die jetzt durch die Handelskammer Bremen ins Spiel gebrachte Ablösung der Lohnsteuerzerlegung durch das Prinzip „die Lohnsteuer bleibt am Ort des Arbeitsplatzes“ ist prinzipiell richtig. Einerseits geht jedoch ein Großteil durch die Verrechnung im Länderfinanzausgleich verloren. Andererseits werden die Umlandgemeinden geschwächt und die Metropolregion belastet.
6. Der Vorschlag von Jens Böhrnsen ist richtig. Die Haushaltspolitik erstickt an den hohen Staatsschulden und den daraus zu zahlenden Zinslasten. Wir hatten 2010 einen Schuldenstand von 17,9 Milliarden, der wird bis 2018 auf 21,8 Milliarden ansteigen. Dieser Zustand ist fast ein wenig vergleichbar mit griechischen Verhältnissen. Wir zahlen für diese Schulden demnächst fast eine Milliarde Zinsen. Eine Altschuldenregelung wäre ein Befreiungsschlag für den Haushalt. Würden die Altschulden halbiert, hätte der Haushalt knapp 500 Mio. € mehr zur Verfügung. An der „Forschungsstelle Bremer Finanzen“ und dem „Institut Arbeit und Wirtschaft“ sind Modelle zur Gründung eines bundesweiten Altschuldenfonds entwickelt worden. Dagegen scheint zu sprechen, dass Sachsen derzeit für seinen Null-Schulden-Haushalt gelobt wird. Aber Sachsen und die anderen neuen Bundesländer sind auch ohne Altschulden gestartet.

BLZ: Wie konnte es denn geschehen, dass eine Mehrheit der Bundesländer einer Schuldenbremse zustimmt, die auch sie und ihre Kommunen in drastische Haushaltskürzungen treibt?
R. Hickel: Die Angst vor hohen Schulden ist ein so dominierendes Prinzip, dass sie alle anderen Gesichtspunkte erschlägt. Die Föderalismuskommission II war nicht in der Lage, ihre eigentliche Aufgabe zu lösen, nämlich zu einer angemessenen Neuordnung der Finanzen zwischen den Ländern zu kommen. Wegen viel zu stark divergierender Interessen waren die beteiligten Akteure nicht fähig zu einem Kompromiss. Also wurde eine Erfolgsstory produziert, die die Ängste der Stammtische wiederspiegelt. Die Auswirkungen auf die Länder und Kommunen wurden dabei gar nicht ausreichend berechnet. Die vorherigen Verfassungsregeln besagten, dass die Nettokreditaufnahme nicht höher sein darf als die Investitionen und dass in Situationen des wirtschaftlichen Ungleichgewichts Schulden gemacht werden dürfen. Jetzt geht es nur noch um den Abbau, und das zwingt zu einer Restriktionspolitik Brüningscher Prägung. Damit wird die gesamtwirtschaftliche Entwicklung belastet, und trotzdem machen alle mit. Ein kleiner Ausweg ist in den Bestimmungen über ein konjunkturbedingtes Defizit enthalten. Aber es gibt bisher keine Klärung, was das bedeutet. In der Schuldenbremse drückt sich die Unfähigkeit einer Kommission aus, die eigentlich ein Gesamtsystem reformieren sollte.

„Es gibt auch einen grünen Stammtisch“
BLZ: Die Grünen haben sich unter der Überschrift „Nachhaltige und generationengerechte Haushaltspolitik“ in ihrem Wahlprogramm ganz stark auf die Schuldenbremse eingeschworen.
R. Hickel: Die Grünen sind sehr stark auf den Schuldenabbau fixiert, und das mit Argumenten, die nicht zutreffend sind. Sie betonen das belastende Erbe für künftige Generationen. Dabei werden ja nicht nur die Schulden vererbt, sondern die entsprechenden Vermögen der Gläubiger. Entscheidend ist doch, was mit Kreditmitteln finanziert wird. Investitionen in die Bildung zahlen sich für künftige Generation aus. Das gilt auch für Infrastrukturinvestitionen in die künftige Umwelt. Dadurch werden die Lebens- und Produktionsverhältnisse nachhaltiger. Wer heute etwa im Bildungsbereich oder beim ökologischen Umbau spart, um die Schuldenbremse einzuhalten, der vererbt künftigen Generationen Belastungen. Dies ist der alte Gedanke vom „Investment Approach“ in der Finanzwissenschaft. Wenn etwas Vernünftiges finanziert wird, darf es auch über Anleihen finanziert sein. Künftige Generationen werden dann per Steuern an der Finanzierung der Zinsen beteiligt. Die künftige Generation muss dann den Verteilungskonflikt lösen: Wer bekommt die Zinsen und wer zahlt diese. Wenn man jetzt über die Schuldenbremse die Konjunktur schädigt, dann werden volkswirtschaftliche Kosten erzeugt. Die klugen Anhänger der Schuldenbremse sind nicht weit von den fiskalistisch eingeengten Ideologien, ja vom Stammtisch entfernt. Hier ist nicht der Platz über die Ursachen der enorm angestiegenen Staatsverschuldung zu sprechen. Aber ein Teil der steigenden öffentlichen Kreditaufnahme geht auf Steuersenkungen für die Unternehmen zurück. Die haben die Entlastung nicht mit mehr Produktion und Beschäftigung belohnt. Also, die Triebkraft Steuersenkungen muss außer Kraft gesetzt werden.

BLZ: Was wäre jetzt denn nötig, damit die Haushaltsprobleme Bremens abgemildert werden?
R. Hickel: Natürlich haben wir erstens die permanente Verpflichtung zur Ausgaben- und Aufgabenkritik. Das muss ernst genommen werden. Zu Recht kritisiert die rot-grüne Koalition auch viele Verschwendungsobjekte aus den früheren Regierungen. Deshalb unterstütze ich strenge Bewertungsverfahren und ein Controlling im öffentlichen Dienst. Aber zur Wahrheit gehört doch auch, dass in den letzten Jahren enorme Einsparungen als Eigenbeitrag vorgenommen worden sind. Es gibt kaum noch Spielräume. Wer beispielsweise in der Uni weiter einsparen will, der muss auch sagen, dass erneut gesamte Studiengänge gestrichen werden müssen.
Die Andeutungen zu einem Ausstieg Bremens aus dem Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TGL) sollten schleunigst zurückgenommen werden. Der ländereinheitliche Tarifvertrag ist ein hohes Gut für die Beschäftigten. Er sichert auch die Planbarkeit der öffentlichen Haushaltspolitik in Bremen.
Zweitens muss die Schuldenbremse ernst genommen werden. Aber dazu gehört auch, auf ihre Risiken für die Grundausstattung des Stadtstaates hinzuweisen. Auch andere Bundesländer erkennen bereits die Schwierigkeiten bei der Exekution dieser Schuldenbremse. Auch die notwenigen Annahmen zur Finanzplanung unter dem Diktat der Schuldenbremse sind hoch problematisch. In der neu vorgelegten Finanzplanung wird von steigenden Steuereinnahmen ausgegangen – z.B. in diesem Jahr um 6%. Wenn die Wirklichkeit der Prognose nicht folgt, dann haben wir ein riesiges Problem. Sollten dann noch die drei Geberländer die Zahlungen aus dem Länderfinanzausgleich reduzieren können, dann herrscht die große Krise.
Deshalb bedarf es des Muts zu einer vorsorgenden Finanzpolitik. Wer den Stadtstaat will, muss diesen auch fiskalisch handlungsfähig machen. Wenn er das nicht tut, dann sollte er logischerweise dessen Abschaffung thematisieren. Dazu gehören die Forderung nach dem Fonds zur Entlastung von Altschulden sowie die Diskussion über die Erhöhung der Einwohnerwertung. Der Weg über Klagen beim Bundesverfassungsgericht ist schwierig, aber unvermeidbar. Auf die Drohung mit einer Neugliederung der Länder muss mit einer plausiblen Rechtfertigung des Stadtstaats abgestellt werden. Und dazu gehört die Stärkung der Bildung sowie der ökologischen Gestaltung.

„Pilotprojekte fördern, die nicht nur aus Beton bestehen“
BLZ: Letzte Frage: Wo sollte Bremen denn jetzt mit seinem verminderten Investitionshaushalt seine Schwerpunkte setzen?
R. Hickel: Die Ausgaben mussten zurückgefahren werden, weil sie fast alle aus dem Investitionssonderprogramm finanziert waren. Deshalb ist die Kritik der Handelskammer an einer angeblichen „Investitionsfeindlichkeit“ unberechtigt. Ganz bestimmte Projekte dürfen einfach nicht mehr stattfinden, wie z.B. der Space-Park, bei dem der Senat letztlich doch mit 120 Mio. beteiligt war. Fairerweise muss man sagen, dass es auch viele positive Investitionen gab. Die Infrastruktur wurde deutlich verbessert. Jetzt wird die Investitionsquote noch einmal von 13% auf 10% zurückgefahren. Da muss es darum gehen, keine Großprojekte mehr zu starten, sondern Modellprojekte zu fördern, z. B. zur Lebensqualität im Stadtteil, zur Verbindung von Bildungs- und Beschäftigungssystem. Wenn man Pilotprojekte formuliert, die nicht nur aus Beton bestehen, dann können die auch für die ganze Republik modellhaft werden. Ein Projekt, auf das wir als IAW sehr stolz sind, ist das zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Vorreiter müssen wir im ökologischen Umbau sein. Da ist die Grundrichtung, die der Umweltsenator Loske einschlägt, völlig richtig und die Angriffe darauf sind rückschrittlich. In Zukunft geht es wieder viel mehr um die Frage, die schon im 19. Jahrhundert Arnold Duckwitz, Bremer Senator und Handelsminister des Deutschen Bundes von 1848 aufgeworfen hat: „Ein kleiner Staat wie Bremen muss die öffentliche Meinung für sich haben. Er darf nie als ein Hindernis für das Wohlergehen der Gesamtheit der Nation erscheinen. Vielmehr soll er seine Stellung in solcher Weise nehmen, dass seine Selbständigkeit als ein Glück für das Ganze, seine Existenz als eine Notwendigkeit angesehen wird. Darin liegt die sicherste Bürgschaft seines Bestehens.“
BLZ: Vielen Dank.
Die Fragen stellte Jürgen Burger

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