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Schwerpunkt

„Bremen ist im Bildungsnotstand“

Die Eröffnungsrede auf der Personalversammlung

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Senatorin,

Deutschland befindet sich in mehreren Krisen, Bremen befindet sich in mehreren Krisen und auch die Bremer Schulen erleben gleich mehrere Krisen auf einmal. Muss ich sie benennen?: Corona, Krieg, Klima, Finanz-/Verteilungskrise, aber die größten Krisen in Schulen sind hausgemacht. Ihr habt es in den Medien gesehen: Die Tami-Oelfken-Schule, symptomatisch für Bremen Nord, aber auch für Schulen im Bremer Westen oder Süden, wenden sich in größter Not an die Öffentlichkeit.

Frau Senatorin, wenn Sie sich hier umschauen, blicken Sie auf motivierte pädagogische Fachkräfte, die einen wichtigen Baustein der multiprofessionellen Teams in Schule ausmachen. Auch diese leiden unter den Arbeitsbedingungen. Insbesondere können, das kann man gar nicht oft genug sagen, multiprofessionelle Teams ihre Wirkung nur dann entfalten, wenn sie auch Zeit für Teamabsprachen und Kooperation haben. Zeit innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit, wohlgemerkt. Nichts kosten würde es die Behörde hingegen, den Kolleg:innen mit Wertschätzung zu begegnen, indem ihre Fachlichkeit ernst genommen wird, anstatt ihnen durch die Arbeitsbedingungen eine Arbeitsweise aufzuzwingen, die ihrer fachlichen Kompetenz überhaupt nicht entspricht.

Fachkräftemangel in der Bildungsbehörde?

Die Probleme sind vielfältig, fast alle aber gehen auf eines zurück: den Fachkräftemangel an Schulen. Nun, die offiziellen Zahlen zur Versorgung mit Lehrkräften (zu anderen Berufsgruppen werden derzeit keine Zahlen veröffentlicht) wurden uns - nicht wie in früheren Jahren - erst in den letzten Tagen von der Behörde übermittelt, und auch nur in einem unhandlichen Format, das kaum Auswertungen zulässt. Man bekommt den Eindruck, auch die Bildungsbehörde leidet unter einem Fachkräftemangel, manche Aufgaben wie die Bearbeitung von Gefährdungsanzeigen werden gar nicht mehr oder nur mit erheblicher Verzögerung erledigt (siehe auch xxx). Aus den Daten, die wir vorliegen haben, lässt sich folgendes sagen: Der Lehrkräfte-Bedarf an Schulen ist im Schnitt zu etwa 90 Prozent gedeckt. Das bedeutet, zehn Prozent der zu gebenden Stunden werden regulär nicht besetzt! Hinzu kommen weitere Ausfälle durch Krankheiten, Mutterschutz, Elternzeit, Fortbildungen und andere nichtunterrichtliche Verpflichtungen. Außerdem sind in den 90 Prozent auch alle Referendar:innen und Stadtteilschulbeschäftigte enthalten.

Die Zeit der Notmaßnahmen

Fun-Fact: Als ich 2014 als Seiteneinsteiger an meine erste Schule kam, wurde auf der ersten Dienstversammlung verkündet, die Schule sei zu 98 Prozent mit Lehrkräften ausgestattet. Es dauerte einen Moment, bis ich begriff: das wurde als gar nicht so schlecht beurteilt! Ich habe einmal in die aktuellen Zahlen geschaut, die niedrigste Ausstattungsquote liegt bei einer Schule bei unter 60 Prozent! Und das sind nur die Lehrkräfte – die Zahlen für andere Berufsgruppen gehen aus diesen Daten gar nicht hervor.

Ist überhaupt eine Schule in Bremen ausreichend personell ausgestattet? 41 Prozent der Schulen haben weniger als 90 Prozent Versorgung; 13 Prozent weniger als 80 Prozent. Schulen treffen bereits Notmaßnahmen. Etliche setzen teilweise den Ganztag aus. Sonderpädagog:innen in Doppelbesetzung und Pädagogische Mitarbeiter:innen werden als Vertretungs- bzw. Betreuungskräfte eingesetzt. Kolleg:innen werden aufgefordert, zwei oder mehr Klassen parallel zu beaufsichtigen. Das solltet ihr ablehnen. Lasst euch die Anweisung schriftlich geben, remonstriert, damit ihr nicht haftet, wenn etwas passiert.

Vorausschauendes Personalmanagement - ist es wirklich so schwierig? Wir glauben nicht und haben dazu ein Handbuch mit drei einfachen Regeln herausgebracht: 1. Wenn zu wenig qualifiziertes Personal vorhanden ist, stelle neues ein. 2. Wenn zu wenig qualifiziertes Personal für Neueinstellungen verfügbar ist, bilde neues aus. 3. Wenn trotz Ausbildung und Stellenausschreibungen nicht genügend qualifiziertes Personal gewonnen werden kann, erhöhe die Attraktivität der Arbeitsstellen. Experten-Tipp: Dies gelingt meistens durch höhere Bezahlung, geringere Belastung/Arbeitszeit und bessere Rahmenbedingungen oder eine Kombination dieser drei Faktoren.

In die Ausbildung investieren

Aus all dem lässt sich eine Feststellung ableiten: Bremen befindet sich im Bildungsnotstand. Dies sollte vom Parlament und der Senatorin genauso benannt werden, analog zum Klimanotstand. Damit meine ich nicht, dass die Krisen in Konkurrenz treten sollten. Aber ein Notstand ist ein Notstand. Und aus dieser Feststellung folgen Tatsachen, in erster Linie lassen sich damit Notmaßnahmen rechtfertigen. Notmaßnahmen, das kennen wir ehrlich gesagt bereits seit vielen Jahren: Überladen des Personals mit Mehrarbeit, Abspecken des Angebots, Einstellung von unterqualifiziertem Personal. Allerdings würde durch den Status Bildungsnotstand auch deutlich, was auf der anderen Seite jetzt gemacht werden muss: massive Investitionen in Bildung, vor allem auch auf der Ausbildungsseite. Bildung muss im Haushalt endlich die Priorität bekommen, die ein Grundrecht wie Bildung haben sollte.

Zu lange Präsenzzeiten

Wir stellen fest, dass maximal erlaubte Präsenzzeit an vielen Schulen häufig überschritten wird, insbesondere bei Teilzeitbeschäftigten. Da wir nicht die Dienstpläne aller Beschäftigten selber überprüfen können, rufen wir euch dazu auf, dies selber zu tun. Eine Anleitung, wie das geht, findet ihr auf unserer Homepage. Das Gute: Anders als die Gesamtarbeitszeit, die schwerer fassbar ist, kann die Präsenzzeit leicht bestimmt und bei Überschreiten dagegen vorgegangen werden.

Der Deal der Schulleitungen

In Bremen gilt: Eine Unterrichtsstunde hat 45 Minuten. Nicht mehr und nicht weniger, das ist gesetzlich festgelegt. Abweichungen davon sind im Rahmen eines Arbeitszeitmodells möglich, das eine Schule für sich beschließen kann; dieses muss aber auch noch von der Behörde genehmigt werden und der Personalrat muss diesem zustimmen. Zuletzt sind uns mehrere Schulen zur Kenntnis gelangt, bei denen Unterrichtsstunden mit einer von 45 Minuten abweichenden Zeit zur Anwendung kommen, ohne dass dies mit uns abgestimmt worden wäre. Diese Modelle sind nicht rechtens. Nun kann man ja einwenden, wenn ein Kollegium das so beschließt, ist das doch okay. Wir raten aber davon ab, denn die Arbeitszeit für Lehrkräfte wird immer noch in Unterrichtsstunden gemessen. Wer beispielsweise nur 40 Minuten pro Unterrichtsstunde hat, kann dann doch rein zeitmäßig mehr unterrichten, oder? Pro Stunde fünf Minuten, das bedeutet alle acht Unterrichtsstunden eine Stunde mehr. Merkt Ihr was? Ein guter Deal für Schulleitungen; für die Lehrkräfte eher nicht. Wer an seiner Schule abweichend von der 45-min-Regel unterrichtet, möge uns bitte Bescheid geben!

Dokumentationspflicht ist überflüssig

Zum Schluss noch etwas Positives: Die Dokumentationspflicht für Fortbildungen wurde vorerst erlassen. Yeah! Liebe Frau Senatorin, vielen Dank dafür. Es geht wohlgemerkt nur um die Dokumentation, nicht die Fortbildungen selber. Freilich glauben wir, dass die Dokumentationspflicht ohnehin überflüssig ist, und haben einen entsprechenden Antrag an die Senatorin gestellt: Bitte streichen Sie dauerhaft die Verpflichtung, Fortbildungen zu dokumentieren.