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Bremen in der Armutsabwärtsspirale

Formulierungen in Pressemitteilungen sind oft geschönt. Sie spiegeln die realen Verhältnisse nicht immer hundertprozentig wider - das ist weitläufig bekannt. Ein krasses Beispiel für diese These ist der Entwurf zum zweiten Armut- und Reichtumsbericht 2014 des Bremer Senats und die Verlautbarungen der Sozialsenatorin und des Bürgermeisters dazu. Es lohnt sich also nachzuhaken - um die Hintergründe aufzuzeigen, die aus den offiziellen Statements von Anja Stahmann (Grüne) oder Jens Böhrnsen (SPD) so nicht zu entnehmen sind. Der Bürgermeister hält den „ungeschminkten Blick auf die sozialen Verhältnisse in Bremen“ für eine „positive Entwicklung“. Und er warnte davor, Erfolge kleinzureden. „Erfolge“ sieht auch seine Kollegin und Sozialsenatorin, dazu „richtige Weichenstellungen“ und Anstrengungen, die sich gelohnt hätten.

Aber wie sieht die soziale Lage im Land Bremen in Wirklichkeit aus. Die keineswegs mutmachenden Zahlen gingen Anfang des Jahres durch die Medien. Demnach sind fast ein Viertel aller BremerInnen armutsgefährdet. Das sind mehr Menschen als noch als im Jahr 2009, mehr als in allen anderen Bundesländern und auch mehr als in den meisten anderen Großstädten. Kinder sind dazu oft ein Risiko - die Hälfte aller Alleinerziehenden gilt als armutsgefährdet. Nirgendwo leben so viele Kinder, fast jedes dritte, in materiell prekären Verhältnissen. Nirgendwo ist die Pro-Kopf-Verschuldung so hoch wie im kleinsten Bundesland.

 

„Das völlige Abrutschen von Bremerhaven ist erschreckend“

Als arm gilt laut Senatsbericht, wer weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient (869 Euro netto). Bei einer vierköpfigen Familie liegt die offizielle Armutsgrenze bei etwa 2000 Euro netto. Bestätigt wird die düstere Statistik auch vom neuen Armutsatlas des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider hält besonders "das völlige Abrutschen von Bremerhaven für erschreckend. Dort leben bereits 38 Prozent der Kinder von Hartz IV. Das ist mehr als jedes dritte."
Zudem gibt es in Bremen eine geteilte Stadt: Dort die Reichen, hier die Armen. Das Durchschnittseinkommen in Horn ist mit mehr als 100.000 Euro im Jahr sechsmal so hoch wie in den ärmsten Ortsteilen in der Neuen Vahr und Gröpelingen. Die Schere zwischen arm und reich geht immer mehr auseinander. Reich ist, wer über Sach- und Finanzwerte von mindestens 261.000 Euro verfügt, so die Definition des Instituts der deutschen Wirtschaft. Die Bremer Arbeitnehmerkammer spricht von Reichen, wenn das Doppelte des sogenannten Nettoäquivalenzeinkommens verdient wird. Das klingt kompliziert, aber die Kammer bietet eine verständliche Übersetzung: pro Person reicht bereits ein Nettoeinkommen von etwa 3500 Euro aus, um sich vielleicht nicht reich zu fühlen, es aber zu sein.
Die Zahl der Millionäre steigt rasant an - auch im Land Bremen (darunter Ticketvertriebshändler Klaus-Peter Schulenberg mit einem Vermögen von 1,2 Milliarden Euro und die Schiffbaufamilie Lürssen mit einem Vermögen von 550 Millionen Euro). Nach Zahlen der Arbeitnehmerkammer hat es allein bei den Einkommen aus Vermögen, also vor allem aus Dividenden, Zinsen und Pachten einen massiven Anstieg gegeben. Bremen lag demnach mit einem Plus von 36,6 Prozent in den Jahren zwischen den Jahren 2005 und 2011 mit weitem Abstand an der Spitze aller Bundesländer.
Wenn Böhrnsen aber zum Armuts- und Reichtumsbericht befragt wird, dann sagt er: Die soziale Lage in Bremen habe sich in Teilen „deutlich verbessert“. Er begründet dies mit ausgewählten Zahlen, zum Beispiel mit der gesunkenen Anzahl der (Langzeit-)Arbeitslosen, auch gebe es weniger Schulabbrecher. Zudem seien zwischen den Jahren 2009 und 2013 mehr als 16000 neue und sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstanden.
Trotz kleiner Hoffnungsschimmer bleibt unstrittig: Die Gesamtlage ist besorgniserregend. Das Land Bremen insgesamt, also jede Bremerin und jeder Bremer, wird jedes Jahr ärmer. Ist dieser Dauertrend aufzuhalten? Und wenn ja, wie? Der Initiativkreis „Erste Bremer Armutskonferenz“ will genau das erreichen.

 

„Arbeit, Soziales und Bildung basteln alle einzeln am Problem“

Der Kreis ist ein soziales Bündnis aus dem Paritätischen Wohlfahrtsverband, der Arbeitnehmerkammer, der Arbeiterwohlfahrt, dem Bremer Rat für Integration, der Caritas, dem Deutschen gewerkschaftsbund, dem Diakonischen Werk, der Jüdischen Gemeinde, dem Kinderschutzbund, dem Deutschen Roten Kreuz, der Bremischen Evangelischen Kirche und dem Katholischen Gemeindeverband.
Der Initiativkreis kritisiert vor allem eine fehlende Konzeption der Verantwortlichen. Vielfach werden einzelne punktuelle Maßnahmen nur aufgelistet, ohne dass eine Darstellung der Zusammenhänge oder eine Priorisierung erfolgen, heißt es. Der Bericht zeige die Notwendigkeit einer ressortübergreifenden Kooperation. „Arbeit, Soziales und Bildung basteln alle einzeln am Problem. Es fehlt eine Koordinationsstelle, die Aktionen bündelt und aufeinander abstimmt“, sagt Thomas Schwarzer, Referent für kommunale Sozialpolitik bei der Bremer Arbeitnehmerkammer.
Gerade in einem Haushaltsnotlageland seien klare Schwerpunktsetzungen erforderlich. Eine Armutsbekämpfungsstrategie sei aus dem Armuts- und Reichtumsbericht nicht herauslesbar – trotz einiger guten Ansätze, Projekte und Angebote in Kindergärten, Grundschulen und sozialen Einrichtungen. Der Initiativkreis sieht positive Entwicklungen, beispielsweise am Bremer Arbeitsmarkt. Diese seien jedoch an der Bevölkerung in benachteiligten Stadtteilen weitgehend vorbeigegangen („soziale Spaltung“). Die zunehmende Polarisierung mache den Bedarf von sozialräumlicher Steuerung deutlich, merkt der Initiativkreis an. Alarmierende Zahlen sind bei Alleinerziehenden mit Kindern (56,4 Prozent mit Armutsgefahr), Langzeitarbeitslosen und Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren (42,4 Prozent) zu verzeichnen. Für alle drei Zielgruppen müssten stärkere Anstrengungen zur Armutsprävention erfolgen. Mit dem Thema der Jugendarmut und den lokalen Handlungsmöglichkeiten in Bremen wird sich der Initiativkreis im kommenden Herbst im Rahmen einer zweiten Armutskonferenz befassen.
Die Politik reagiert auf die Armutsproblematik nicht selten nur mit Floskeln. „Armut heilen wir nicht durch Handauflegen“, sagt Anja Stahmann. „Die Einwirkungsmöglichkeiten sind nicht zu überschätzen“, sagt Jens Böhrnsen. Der Senat stehe vor einer „riesigen Herausforderung“, aber gleichzeitig wird betont, dass die rot-grüne Landesregierung viele „viele Faktoren nicht beeinflussen könne“. Der Grünen-Fraktionschef Matthias Güldner hat auch kein Patentrezept und fügt wenig konkret hinzu: „Die Menschen wissen, wie komplex und schwierig das Thema ist.“ Und, dass es ein ganz steiniger Weg sei.

Die Experten halten Verbesserungen oder die Lösung für das Problem für komplex. Die Einführung des Mindestlohns sei ein Lösungsansatz. Wenn dadurch aber die Leistungsanforderungen in vielen ungelernten Jobs steigen, wird es allerdings immer schwieriger Zuverdienstmöglichkeiten zu finden. Drei Punkte aber sind entscheidend: Wenn Kinder unter Armutsbedingungen um ihre Chancen gebracht werden, ist das ein Skandal. Mehrkindfamilien und Alleinerziehende müssen stärker gefördert werden. Die beste Armutsbekämpfung ist und bleibt Bildung. Vor allem in die frühkindliche Bildung müssen wir mehr investieren. Und drittens: der Kampf gegen Steuervermeider und Steuerbetrüger muss noch viel konsequenter geführt werden.
Dafür verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, ist die Aufgabe des Bremer Senats. Thomas Schwarzer von der Arbeitnehmerkammer wünscht sich von der neuen Landesregierung, die im Mai gewählt wird, vor allem eins: „Der Senat muss mit dem Jobcenter ein Programm auflegen, damit Familien mit Kindern so gefördert werden können, damit der Zugang zum Arbeitsmarkt wirklich zu schaffen ist.“
Mögliche Verbesserungen und Erfolge im Bereich der Armutsbekämpfung führen auf jeden Fall dazu, dass die Politik ihre Pressemitteilungen auch nicht mehr zu schönen braucht.

Kontakt
Karsten Krüger
Schriftleiter des Bildungsmagaz!ns
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