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Schwerpunkt

„Bitte kleinere Gruppen“

Beziehungsarbeit in einer Kita: Der Erfahrungsbericht einer Erzieherin

Was wir können

Wir Kita-Fachkräfte leisten täglich Beziehungsarbeit. Ganz automatisch. Es beginnt mit dem Erstkontakt zu einer Familie, die sich in der Krippe oder der Kita anmeldet. Die Eltern kennenlernen, und ihnen die Einrichtung zeigen - Vertrauen gewinnen. Im nächsten Schritt die Kinder eingewöhnen. Das klingt oft so einfach. Für Erwachsene ist es sichtbar und verständlich. Für junge Kinder meistens nicht. Bei fremden Personen bleiben bis zu acht Stunden am Tag. Was heißt das also? Eine Beziehung zu den Kindern aufbauen, sodass die Eltern den Raum verlassen können. Bis sie sich irgendwann so wohl fühlen, dass sie gerne in die Kindertagestätte kommen. Dann haben wir es geschafft. Dann sind die Beziehungen geknüpft. Ohne das Vertrauen der Kinder, ohne eine funktionierende Beziehung zu ihnen, ist es unmöglich sie zu trösten, sie zu bitten zu warten oder einfach ausgelassen mit ihnen zu lachen. Denn wer kann schon lernen oder sich konzentrieren, wenn er sich unwohl fühlt?

Was wir müssen

In der Krippe kann es vorkommen, dass sechs bis sieben Kinder zum neuen Jahr aufgenommen werden. In der Kita können es vereinzelnd bis zu 15 Kinder in einer Gruppe sein. 15 von 20. Das sind erstmal nur Zahlen. In den Gruppen arbeiten eine bis drei Fachkräfte. Je nach Standort und Personalstunden. Das bedeutet, dass wir Fachkräfte gute Beziehungen mit bis zu 20 Kindern aufbauen und halten müssen. Wenn es noch gruppenübergreifende Angebote gibt (z.B. Frühdienst oder Nachmittagsdienst) wird die Anzahl der Kinder größer. Und nicht nur die. Jedes Kind hat eine Familie. Eltern, andere Erziehungsberechtigte, Großeltern, Frühförderkräfte, Ärzt*innen und so weiter. Und das beruht auf Gegenseitigkeit. Die Kinder müssen sich auf uns einlassen. Das sind enorm hohe Beziehungsanforderungen an Mitarbeitende und Kinder.

Um den Überblick zu behalten wird vieles dokumentiert. Wir notieren Wünsche und Beobachtungen der Erziehungsberechtigten, führen Elterngespräche, Übergeben in der Morgenrunde den Kolleg*innen die neusten Entwicklungen und Lernfortschritte. Wir gestalten die wichtigsten ersten Lebensjahre der Kinder mit.

Die Bildung

Wir Fachkräfte wissen, wie wichtig gute Beziehungsarbeit ist, damit Kinder lernen und explorieren. Und wir wissen auch, was wir und die Kinder dafür benötigen. Bei diesem Punkt nehme ich viele Kolleg*innen bereits resignierend wahr. Auf die Frage, was sich verändern soll, damit gute Bildungsarbeit leistbar ist, gibt es in der Regel EINE Antwort: „tja, kleinere Gruppen“. Das Thema ist nicht nur in den Kitas seit Jahren präsent (siehe z.B. Prof. Dr. Rainer Dollase, der sich umfangreich mit Gruppen im Elementarbereich befasste), aber die Diskussionen in der Politik scheinen eher in die Richtung 21…22… zu gehen. Und das löst bei mir große Sorgen aus. Natürlich geht es um Geld. Es geht um fehlende Fachkräfte. Es geht um den Mangel an passenden Gebäuden. Es geht um die Veränderung der Gesellschaft und die Schwerpunkte, die sich damit verschieben.

Und dann kam Corona

Ich empfinde es insgesamt positiv, dass der Berufszweig durch die Pandemie in die öffentliche Diskussion geraten ist. Kurz vor den Sommerferien hatten wir aufgrund der Verordnungen nur wenige Kinder in der Kita und zeitweise auch eine deutlich reduzierte Gruppengröße. Einige Kinder haben in dieser Zeit einen enormen Entwicklungsschub gemacht. Die kleinen Gruppen taten denen gut, die mehr Aufmerksamkeit benötigen, sowie den Kindern, die mehr Zeit für Alltagsaufgaben benötigen. Diese Zeit war dann plötzlich da. Wir betreuten im Schnitt zehn Kinder. Der Unterschied war zu spüren. Wirft man den Blick allein auf die Pädagogik, konnten wir Fachkräfte so arbeiten, dass es den anwesenden Kindern und unserem Anspruch an gute Bildungs- und Beziehungsarbeit gerecht wurde.

Corona hat uns aber auch gezeigt, an welchen Stellen es eh schon eng ist. Die Fachkräfte fehlen! Unter normalen Bedingungen ist es meistens schon eng, die formellen Anforderungen der Dokumentation zu leisten und die Kinder im Alltag zu begleiten.

Zum Kita Start 2020 wurde uns einiges abverlangt. Theoretisch waren die Anforderungen genauso hoch wie sonst. Aber eigentlich waren sie höher. „Wenn mein Kind schon privat nicht seinen Geburtstag feiern darf, dann könnt ihr das doch wenigstens hier tun.“ „Wenn die Kinder zu Hause nur noch vor dem Fernseher sitzen, dann könntet ihr wenigstens ein paar Projekte durchführen, wenn sie wiederkommen.“ Das sind aus Elternsicht völlig legitime Fragen und Wünsche. Aber bei uns löste das den Druck aus, mehr zu leisten. Wir sind Erzieher*innen, Sozialassistent*innen, Heilerziehungspfleger*innen usw. Wir wollen die Kinder fordern und fördern, wir möchten ihnen Vertrauen schenken und ihr Vertrauen gewinnen. Das gehört zu unserer Berufung. Wie sollten wir eine Geburtstagsfeier ohne schlechtes Gewissen ausschlagen!? Die Kinder sind an erster Stelle. Aber in einer Pandemie wackelt diese Anordnung. Dabei spielt die eigene Verunsicherung eine Rolle; die Sorge, dass man als Überträger/in die Krankheit an Angehörige weiterträgt, und schlichtweg hohe organisatorische Anforderung in Bezug auf Reinigung der Räume, wiederholtes Händewaschen usw. Trotzdem oder gerade deswegen versuchen wir den Kindern einen sicheren Ort zu schaffen - in einer Zeit, in der nichts sicher ist.

Corona hat sich in der Arbeit mit Kindern eigentlich nicht real angefühlt. Die Kita war eher wie eine Blackbox. Draußen wurden Masken getragen. Die Räume wurden zwar nicht mehr geteilt. Die Angebote außerhalb des Gruppenraumes fielen weg. Aber ich bin immer noch Erzieherin. Ich tröste, ich nehme auf den Arm, ich begleite Toilettengänge, putze Nasen, leiste Bildungsarbeit und lächle. Und das wird sich nicht ändern. Das Einzige, was uns schützen würde, sind kleine konstante Gruppen. Alles andere mag meines Erachtens auf dem Papier sinnvoll erscheinen, aber in der Realität nicht. Kinder brauchen und fordern Vertrauen und das geben wir ihnen. Langsam ziehen Masken in den Kita-Alltag ein. Es ist die einzige Möglichkeit, sich zwischen verschiedenen Gruppen zu bewegen, den Kolleg*innen zu begegnen, die Eltern zum kurzen Austausch zu sehen. Die Kinder scheinen Masken nicht mehr zu irritieren. Ich merke, wie ich abends Muskelkater in den Wangen habe, weil ich versuche mehr Emotionen über die Augen zu vermitteln und dabei fast Grimassen unter der Maske mache.

Die Pandemie hat uns die Beziehungsgestaltung zu Eltern und Erziehungsberechtigten erschwert. Die nach außen willkürlich-aussehenden Betreuungszeiten haben das Vertrauensverhältnis an einigen Stellen erschüttert und teilweise zerstört.  Das breite Spektrum reichte von Protest über Beleidigungen und Ohnmacht über hohe Solidarität, Dankbarkeit und Verständnis. Das beiderseitige Vertrauen wieder herzustellen wird eine Hauptaufgabe in den nächsten Monaten - neben dem normalen Alltag und der Einhaltung der Coronaregeln – selbstverständlich. 

Was ich mir wünsche

Eine transparente Politik und eindeutige, flächendeckende, einheitliche Entscheidungen in Bezug auf Kindertagesbetreuung wären hilfreich, damit wir die Beziehungs- und Bildungspartnerschaften zu den Eltern wiederaufbauen können. Die Mitarbeitenden aus Niedersachen bangen um einen Notbetreuungsplatz für ihre Kinder, damit sie ihrer Arbeit in Bremen nachkommen. Sowas ist untragbar.

Unsere Berufsgruppe braucht dringend dieselbe Anerkennung, wie anderes Fachpersonal, welches für Bildungsprozesse verantwortlich ist, wie z.B. Grundschulpersonal, Lehrpersonal. Und damit sollte auch die Vergütung weiter angepasst werden. Es ist frustrierend, dass unser Arbeitsbereich – die Kita- offensichtlich bundesweit dazu beiträgt, dass Eltern arbeiten gehen können und wir ihn seit Beginn der Pandemie auf Formblättern immer noch per Hand in die „systemrelevanten Berufsgruppen“ eintragen müssen. Das ist eine Unverschämtheit.

Und das wichtigste für unseren Anspruch an gelingende Bildungsarbeit ist nach wie vor eine Anpassung der Gruppengröße. Meine Kollegin murmelte nach Lesen dieses Berichts: „Ich würde sogar auf bessere Bezahlung verzichten, wenn wir immer kleinere Gruppen hätten!“