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Debatte

Bekenntnisse eines Zwingerhundes

Eine Antwort auf die Bekenntnisse eines Wachhundes (Werner Pfau, bildungsmagaz!n 06/21)

Lieber Werner,

sehr gern würde ich mich mit dir mal wieder bei einem Bier streiten und kritische Diskussionen führen, teile aber deine Zuversicht nicht, dass wir damit warten können, bis „die letzte Welle abgeebbt ist“. Wer darauf wartet, dass keine Infektionswelle mehr kommt, das Coronavirus gar besiegt wird, hängt offenbar noch immer dem Zero-Covid Gedanken an. Es wird aber kein Leben nach Corona, nur ein Leben mit Corona geben. Dem genannten kritischen Diskurs müssen wir uns also sofort stellen, um eine freie und offene Gesellschaft vor der Errichtung einer geschlossenen und ausgrenzenden Gemeinschaft zu schützen. Wir stellen dieser Tage die Weichen für unser weiteres Zusammenleben und sollten uns schleunigst die Frage stellen, wie wir uns dieses für unsere Zukunft und die unserer Kinder wünschen.

Zunächst möchte ich aber gern die Quellen nachliefern, die dir in unserem letzten Artikel gefehlt haben. Bezüglich der Ärzt*innen, die sich kritisch zur Impfung, vor allem der der Kinder äußern, empfehle ich die Stellungnahmen von „Ärzte für Aufklärung“ und „Ärztinnen und Ärzte für individuelle Impfentscheidung e.V.“. Weiterhin lohnt der Blick auf die aktuelle Empfehlung der STIKO zur Altersgruppe der Fünf- bis Elfjährigen1, die inhaltsgleich auch in der Empfehlung für die 12-18-Jährigen formuliert wurde. Erst nach massivem politischem und öffentlichem Druck, passte die STIKO diese Empfehlung an. Die Bewertung der Glaubwürdigkeit und Plausibilität dieser Korrektur der STIKO bleibt dabei selbstverständlich jedem selbst überlassen.

Mir ist an dieser Stelle nicht daran gelegen, zu entscheiden, welche wissenschaftliche Sicht, welches Modell oder welche Lösung richtig ist. Mir stößt aber auf, dass in der Schule kaum dieser Dissens, sondern eher ein einseitiger Konsens dargestellt und abgebildet wird.

Die Impfung wird als einziger und alternativloser Weg aus der Pandemie dargestellt. Ebenso der Umgang mit dieser Bedrohung durch Schulschließungen, Homeschooling, Lockdowns und die Einführung ausgrenzender 2-G-Regelungen.2 Diese Darstellung ist falsch, einseitig und widerspricht jeder Vorstellung von Ausgewogenheit und Neutralität, der die Schulen sich verpflichtet haben3.

Das transportierte Mantra, die Impfung schütze nicht nur das Individuum, sondern auch die Gesellschaft, führt unter dem Banner der „Pandemie der Ungeimpften“ und dem Deckmantel der Solidarität dazu, dass Ausgrenzung und Diskriminierung (nicht nur eine angebliche) legitimiert, staatlich gefördert und nun sogar gesetzlich verankert werden. Dies geschieht, obwohl eigentlich ein wissenschaftlicher Konsens besteht, dass der Fremdschutz durch die Impfung nach kurzer Zeit nur noch so gering ist, dass sich die Solidarität einzig und allein auf die Angst vor der Überlastung der Intensivstationen eines in den letzten 20 Jahren kaputt gesparten und marktwirtschaftlichen Prozessen unterworfenen Gesundheitssystems beziehen kann. So stellt Christian Drosten bereits im November klar: „Es gibt im Moment ein Narrativ, das ich für vollkommen falsch halte: Die Pandemie der Ungeimpften. […] Wir haben keine Pandemie der Ungeimpften, wir haben eine Pandemie“4. RKI-Chef Wieler erklärt eine Woche zuvor: „Das Wort Herdenimmunität haben wir gestrichen“5. Abschließend sei auf eine Studie der Harvard-Universität6 verwiesen, die keine Korrelation zwischen der Impfquote und der Entwicklung der Infektionszahlen feststellen konnte, was sich aktuell auch darin zeigt, dass Bremen sowohl Impfprimus als auch Inzidenzspitzenreiter ist (Stand: 02.01.2022).

Diese Fakten müssen in der Schule abgebildet werden, um ein differenziertes Bild der aktuellen Lage zu vermitteln. Das Gegenteil findet aber in allen Bereichen der Schule statt. Entgegen der auch von dir gewünschten Aufklärung findet Werbung für die Impfung statt und der Aufbau von Druck und Zwang gegenüber den sogenannten „Ungeimpften“ wird mitgetragen und tatkräftig unterstützt. (2G-Regelungen bei Klassenfahrten, Elternabenden, Infoveranstaltungen, Exkursionen etc.)

Wir sind uns aber absolut einig in der Forderung, dass Schule eine Aufklärungsverpflichtung hat, der sie in allen Bereichen nachkommen muss. Dabei müssen Vor- und Nachteile der Impfung ebenso transportiert werden wie die gesellschaftlichen Ausgrenzungs- und Diskriminierungsprozesse, wenn sie auch negative Assoziationen wecken, oder vielleicht auch gerade deswegen. In keinem Fall aber dürfen wir diese gesellschaftlichen Prozesse in der Schule unreflektiert reproduzieren, zumindest dann nicht, wenn Einigkeit darüber besteht, dass weder die Mehrheit lernen darf, dass Ausgrenzung legitim ist, noch eine Minderheit Diskriminierungserfahrungen machen soll.

Unsere Aufgabe als Lehrerinnen und Lehrer ist es also mitnichten, ein „Spaltpilz“ zu sein, der eine Position inhaltlich und moralisch überhöht und die Gegner pauschal als „rechtspopulistisch“, „sozialdarwinistisch“ oder „esoterisch“ stigmatisiert, sondern ein differenziertes Bild zu vermitteln und Ansatzpunkte zu finden, die unsere Gesellschaft zusammenführen und nicht spalten.

Wenn die Impfung ausschließlich dazu in der Lage ist, schwere Verläufe in einem signifikanten Maß zu verringern, nicht aber Wellen zu brechen oder gar das Virus zu besiegen, verbleibt ihre gesellschaftliche Wirksamkeit in der angenommenen Entlastung des Gesundheitssystems. Die Lösung kann angesichts der hohen gesellschaftlichen, sozialen und wirtschaftlichen Kosten aber nicht sein, dass wir versuchen, die Bedrohung dem Gesundheitssystem anzupassen, sondern dieses der Bedrohung.

Darüber sollten wir alsbald sprechen und debattieren, um möglicherweise wieder einen politischen Nenner zu finden und die tatsächlich Verantwortlichen daran zu erinnern, dass ihre Fürsorgepflicht nicht darin besteht, das Volk zu einer Impfung zu gängeln oder gar zu zwingen, sondern ein Gesundheitssystem vorzuhalten, das den realen aktuellen und künftigen Bedrohungen gewachsen ist.

Mit solidarischen Grüßen,Gunnar Weber, im Namen von 35 weiteren GEW-Kolleg*innen aus dem Bildungsbereich

Quellen:

Bekenntnisse eines Wachhundes

Eine Antwort auf die Stellungnahme von Gunnar Weber und Unterzeichneten

1. In der letzten Ausgabe dieser Zeitschrift sprachen sich Gunnar Weber und weitere GEW-Mitglieder (siehe Text weiter unten auf der Seite) in eindringlichen Worten gegen eine angebliche Diskriminierung Ungeimpfter in der Bildung und anderswo aus. Es drohe eine Spaltung der Gesellschaft durch die staatliche Politik, würden weitere Einschränkungen eingeführt. Selten ist ein Text so durch die Ereignisse überholt worden wie dieser. Mittlerweile sind die Zahlen explodiert und Ungeimpften ist der Zutritt zu fast allem verwehrt, eine allgemeine Impflicht rückt näher. Zu dieser kann man kritisch stehen, wie es beispielsweise die Bremer Gesundheitssenatorin tut. Dennoch betont auch sie, das Impftempo müsse dringend beschleunigt werden, unter anderem durch Aufklärung.

2. Die in der Stellungnahme vielbeschworene Freiwilligkeit der Impfung kann nicht heißen, dass die Entscheidung sich allein im Privaten abspiele, als individuelle Risikoabwägung ohne Bezug auf andere. Vermutlich wäre das bei einer durch Zeckenbiss erworbenen Hirnhautentzündung der Fall; wer die Impfung ablehnt, steckt bei eintretender Infektion niemanden an.

Bei Covid-19 ist das anders. Die Impfung dagegen ist ihrem Wesen nach eine kollektive Maßnahme. Der Schutz einer Person gegen einen ersten oder erneuten Ausbruch ist um so größer, je höher der Impfgrad der Gesamtbevölkerung ist. Im Hinblick auf die aggressive Delta-Variante hatte das RKI ja bereits im Sommer 2021 eine Impfquote von 85% angemahnt. Wer also Schutz für notwendig erachtet, muss nach freier Erwägung auch wollen, ja ist sogar darauf angewiesen, dass andere mitziehen und die Impfung nicht bloß als unverbindliches ‚Angebot‘ ansehen. Das könnte man als den epidemiologischen Imperativ bezeichnen. Ihn den skeptisch Gesinnten zu erklären, heißt nicht Druck ausüben, sondern an Einsicht zu appellieren. Wo stattdessen moralische Empörung auftrumpft und eine Stigmatisierung Ungeimpfter, da ist eure Sorge vollkommen berechtigt.

3. Doch weshalb stellt ihr Behauptungen wie die folgende auf? ‚Immer mehr ÄrztInnen und WissenschaftlerInnen sprechen sich gegen eine Impfung von Kindern und Jugendlichen aus‘. Zunächst gilt es zwischen den beiden Gruppen zu unterscheiden: Bei Kindern lässt sich debattieren, obwohl Claudia Bernhardt schon eine Impfstation für sie vorbereitet. Jugendlichen ab zwölf hingegen legt die Ständige Impfkommission schon seit August 2021 nahe, den Schritt zu tun. Desgleichen ruft die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin dazu auf, unter Verweis auf Untersuchungen bei zehn Millionen Fällen. Christian Drosten empfiehlt es und würde übrigens, wie er dem WDR sagt, auch sein eigenes Kind unter zwölf impfen lassen.

Das sind drei seriöse wissenschaftliche Stimmen für die Notwendigkeit der Impfung in besagter Gruppe. Eure Belege für das Gegenteil konnte ich leider nicht überprüfen – ihr liefert ja keine. Eine solche Berufung auf ominösen Ungenannte offenbart in Zeiten, wo impfskeptische Gruppen reichlich Fake News verbreiten, bedenklichen Stil.

4. Fragwürdig ist auch die Wortwahl in Bezug auf Beschäftigte in der Bildung, die sich für das Impfen, unter Umständen sogar als Pflicht, einsetzen. Im Text heißt es, diese sollten sich nicht zu ‚Wachhunden‘ oder ‚Erfüllungsgehilfen‘ der ‚staatlichen Corona-Politik‘ machen. Klingt der eine Begriff nach gefletschten Zähnen, weckt der andere irritierende politische Assoziationen, mit finsteren staatlichen Machenschaften, deren Büttel man nicht werden dürfe. Es sei dahingestellt, ob Staaten eher von humanitären oder ordnungspolitischen Motiven getrieben sind. Doch so gut wie alle Regierungen auf der Welt, über Parteigrenzen hinweg, verfügen seuchenpolitische Maßnahmen. Die einzigen, die sich offen dagegen aussprechen, sind rechtspopulistische Kräfte wie Trump und die AfD; vielleicht wollen sie dem Schöpfer nicht ins Handwerk pfuschen oder nach sozialdarwinistischer Manier der Natur ihren Lauf lassen, worin sie sich nebenbei mit esoterischen Gemütern treffen. Gegen solchen Irrationalismus, der Köpfe vernebelt und Seuchenschutz behindert, sehe ich mich als Lehrer in der bescheidenen Pflicht, etwas Aufklärung zu betreiben. Mit Glück gelingt es mir, einen kleinen Spaltpilz in die Gemeinde zu säen und Einzelne abtrünnig zu machen. Falls mich das zu einem ‚Erfüllungsgehilfen’ macht, ist das eben so. Nachher, wenn die letzte Welle abgebt ist, können wir gerne kritische Diskussionen führen, etwa über die skandalös schlechten Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen. Wir säßen gemeinsam im selben Raum, ohne Maske, bei einem kühlen Bier, und wir hätten zumindest ein Problem weniger.

Ausgegrenzt! | Stellungnahme 2 zur Corona-Impfpolitik

Von Gunnar Weber, Elke Henocque und Angelika Hofner im Namen von 22 weiteren Kolleginnen und Kollegen

Die Frage, die uns umtreibt ist, wie es sein kann, dass die Entscheidung, ein freiwilliges Impfangebot nicht anzunehmen, zum Ausschlusskriterium sozialer und gesellschaftlicher Teilhabe wird und welche Rolle wir als Schulen und als Kolleg*innen in diesem Prozess spielen wollen.

Wer hätte vor Corona für möglich gehalten, dass der Status „geimpft“ bzw. „ungeimpft“ ein stigmatisierendes Distinktionsmerkmal werden könnte? Also, was geschieht hier? Verurteilung, Schuldzuweisung und Ausgrenzung durch, mal mehr mal weniger, nahestehende Menschen. Der soziale Riss verläuft mitten durch Familien, Freundes- und Bekanntenkreise sowie Belegschaften und Kollegien. Es handelt sich um ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Frage danach, wie wir zukünftig leben wollen, beschäftigt uns als professionelle Pädagog:innen im Besonderen und ganz zentral in unseren beruflichen Kontexten, in denen wir verantwortungsvolle Beziehungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen leisten wollen.

Hier müssen wir unserem Auftrag gerecht werden und dürfen uns nicht an einer Politik beteiligen, die den Druck auf jene erhöhen soll, die sich nicht freiwillig für eine freiwillige Impfung entscheiden. Wir müssen also auch die Schüler:innen und Kolleg:innen schützen und unterstützen, die nicht der derzeitigen Mehrheit angehören. Wir machen uns Sorgen um Kinder und Jugendliche, die dem vielfachen Druck durch Impfung aus dem Weg gehen wollen, obwohl sich immer mehr Ärzt:innen und Wissenschaftler:innen kritisch zur Impfung von Kindern und Jugendlichen äußern, da diese Gruppe eher durch die Impfung als durch Covid 19 gefährdet ist.

Wir erwarten, dass kein Druck auf Schüler:innen und Kolleg:innen von Seiten der Personalvertretungen und der GEW ausgeübt wird, sondern dass - im Gegenteil - politischer und rechtlicher Schutz gegen den Druck von Behörde und Politik geleistet wird. Wir dürfen uns nicht zu Wachhunden und Erfüllungsgehilfen einer Corona-Politik machen, die unsere Gesellschaft entzweit und einzelne Bevölkerungsgruppen an den Rand drängt, sondern müssen uns gemeinsam und solidarisch gegen diese Politik der Spaltung zur Wehr setzen. Solidarische Grüße