Rassismus und Kolonialismus als Unterrichtsthema
Befreiung zur Lohnabhängigkeit
Anmerkungen zum Abolitionismus. (Fortsetzung) Sklaverei und Rassismus im Unterricht (III):
Die soziale Bewegung des Abolitionismus hat im Laufe des 19. Jahrhunderts das Ende der Sklaverei im britischen Weltreich eingeleitet. Zunächst mit dem Verbot des Handels (1808), dann mit dem der Sklavenhaltung selbst, das ab 1834 eingeschränkt durch eine Übergangsphase galt, bis um 1850 gleichwohl Millionen Versklavter zu freien Rechtspersonen werden. Der Erfolg der Bewegung steht freilich mittlerweile in einem eigentümlichen Missverhältnis zu ihrem schlechten Ruf unter kritischen Intellektuellen. Schwierigkeiten machte spätestens seit dem frühen 19. Jahrhundert die Tatsache, dass es sich um eine bürgerlich-religiös geprägte und, zumindest auf dem englischen Festland, also im Herzen der Kolonialmacht, von Weißen betriebene Praxis handelte. In den USA nahmen auch freigelassene Schwarze wie Frederic Douglass daran teil, während aktuell Versklavte logischerweise nur in klandestiner Form mitwirken konnten.
Im antiimperialistischen und marxistisch gefärbten Milieu der Dreißiger Jahre des 20. Jahrhunderts war gegenüber dem Abolitionismus eine gewisse Geringschätzigkeit zu konstatieren. Als Weißer abolitionistisch zu denken, hieß schließlich nicht automatisch, frei von Rassismus zu sein. Zudem ließen sich abolitionistische Parolen auch für imperialistische Politik instrumentalisieren, etwa wenn britische Regierungen ihr Weltreich deshalb als Vorkämpferin der Zivilisation verkauften, ohne zugleich Abstriche an ihrem kolonialen Herrschaftsanspruch zu machen. Und was die Befreiten betraf: Bürgerliche Rechtsperson zu werden, war bekanntlich keineswegs gleichbedeutend mit Einkommen, Unterkunft, Zugang zu medizinischer Versorgung und ähnlichem.
Kritik am Abolitionismus
Bekannter Protagonist einer solchen Kritik war der aus Barbados stammende Historiker Eric Williams, dessen Theorie sich als sehr einflussreich in antikolonialen Kreisen erwies. Um den Abolitionismus in Einklang mit den marxistischen Kategorien von Basis und Überbau zu bringen, postulierte Williams, die Abschaffung der Sklaverei sei gewissermaßen nur der politische Nachvollzug eines längst gelaufenen ökonomischen Niedergangs der Sklavengesellschaften gewesen. Diese seien gegenüber kapitalistischer Industrialisierung und freier Lohnarbeit ins Hintertreffen geraten, die Ideologie des Abolitionismus entlarve sich somit als politische Legitimation für einen Prozess, der vorab die Basis der Gesellschaft ergriffen hatte. Heutzutage lässt die 'Williams-These' nur in modifizierter Form sich halten. Wie etwa Seymour Drescher gezeigt hat, waren die karibischen Plantagenökonomien unter britischer Herrschaft sehr wohl gewinnträchtige Sphären und brachten gerade in den Jahrzehnten vor 1808 beachtliche Wachstumsraten hervor. Konservative britische Politiker wie Benjamin Disraeli wurden in der zweiten Jahrhunderthälfte daher nicht müde, die Abschaffung der Sklaverei aus nationaler Sicht als Fehler zu brandmarken. Folgt man Drescher, so war der Abolitionismus ökonomisch gesehen ein Verlustgeschäft, was der Bewegung wiederum zu neuer Ehre gereicht, hat sie ihre Ziele eben doch gegen mächtige Wirtschaftsinteressen durchgesetzt, anstatt nur Instrument eines ohnehin wirkmächtigen historischen Übergangs gewesen zu sein.
Rolle der Religion...
Trotzdem lohnt es sich, nach den sozial-historischen Prozessen zu fragen, die dem Aufkommen einer religiös unterfütterten Kritik an der Sklaverei zugrunde lagen. Denn Religion hat in Jahrtausenden der Geschichte die Funktion der Rechtfertigung von Sklaverei und anderen Unterwerfungsverhältnissen erfüllt. Nicht nur die zentrale monotheistische Metapher vom Menschen als Knecht Gottes ließ die reale Knechtschaft von Menschen unter ihresgleichen als spirituelle Herausforderung und Abbild der menschlichen Existenz überhaupt erscheinen. Auch passende Textstellen in jüdisch-christlicher und später koranischer Tradition fanden sich oder wurden, wie in der berühmten Verfluchung Kanaans, entsprechend gedeutet: Ham, einer der Söhne Noahs, sieht seinen betrunkenen Vater Noah nackt, was dieser, kaum ist er wieder nüchtern, als unverzeihliche Missetat sieht. In einer solchen Stelle wie Genesis 9,24 hat sich ethnologisch möglicherweise die Auseinandersetzung mit sexuellen Tabus niedergeschlagen. Zur Strafe muss Hams Sohn Kanaan, von Gott verflucht, hinfort als 'Knecht der Knechte' dienen. Und eine auf Legitimation von Sklaverei bedachte Theologenschar interpretierte die Nachkommen Hams als die Menschen Afrikas.
...und ihr Wandel
Solche und vergleichbare Deutungen hatten Jahrtausende Bestand. Doch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts haben die größten christlichen Konfessionen eine theologische Wende vollzogen, von der Überhöhung menschlicher Knechtschaft als Ausfluss göttlichen Willens hin zur Anerkennung eines bürgerlich-liberalen Freiheitsbegriffs. Unwahrscheinlich, dass dies allein die Leistung einer einzelnen, glücklich agierenden Protestbewegung gewesen ist. Berechtigt daher der Verdacht marxistisch inspirierter Forschung, in der allmählichen theologischen Neudefinition menschlicher Freiheit artikulierten sich tieferliegende soziale Prozesse: Das Aufkommen frühkapitalistischer Wirtschaftsformen hat im Europa der frühen Neuzeit die Befreiung feudaler Bauern zu prototypischen Lohnabhängigen mit sich gebracht. Der bürgerliche Liberalismus hypostasiert die freie Lohnarbeit ideologisch zur menschengemäßen Existenzform gegenüber adligem Müßiggang einer- und der vermeintlichen Apathie des Sklavendaseins andererseits. Nur der Mensch, der von eigener Hände Arbeit lebt, genieße die ihm von Gott verliehene Würde. Die Agitation der abolitionistischen Bewegung in Großbritannien kann, so sieht es auch Seymour Drescher, erst in dem Moment die Massen ergreifen, wo sie ihre Kritik an der Sklaverei mit diesem populär gewordenen bürgerlichen Selbstbewusstsein vermittelt, also in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Daher die Ambiguität der abolitionistischen Weltanschauung: Sie kann sich aus konkretem Mitgefühl mit den Versklavten speisen, aber auch aus dem abstrakten religiösen Gebot, die Seele der Farbigen zu retten, mit denen man ansonsten nicht viel zu tun haben will.
Ökonomische Kritik an der Sklaverei – und ihre Verteidigung
Zur moralischen Überhöhung gesellt Adam Smith in seinem Hauptwerk 'Der Wohlstand der Nationen' ein berühmt gewordenes ökonomisches Argument: Free Labour sei 'auf lange Sicht' effektiver als Sklavenarbeit, da sie dem Menschen eine Motivation gebe, Qualität und Quantität seiner Arbeit zu steigern – er arbeite ja für sich. Ironischerweise ist es dann ein ideologischer Verteidiger der Sklaverei, wie James Hammond, der das liberale Hohelied auf die Lohnabhängigkeit genüsslich dekonstruiert. Was, wenn dem oder der Arbeitenden am Ende des Tages doch nur das Existenzminimum bleibt? Sind schäbige proletarische Hinterhöfe soviel besser als die Wohnbaracken der Plantagen? Besteht menschliche Würde darin, sich in der Fabrik dem Rhythmus der Maschinerie zu unterwerfen? Ein anderer Ideologe der Südstaaten, George Fitzhugh sekundiert in den 1850'er Jahren: Lohnabhängige seien in einer ungezügelten Marktgesellschaft den Fährnissen der Konkurrenz hilflos ausgeliefert, was zu Arbeitslosigkeit und Verwahrlosung führe. Die paternalistische Idylle der Sklaverei hingegen lasse ihre dienstbaren Knechte nicht verkommen. Ideologen der Sklaverei appellieren an den vermeintlichen Realitätssinn ihrer liberalen Gegenspieler: Muss es nicht in jeder Gesellschaft eine Klasse von Menschen geben, die produktive Handarbeit leisten, damit kulturbildende Eliten am Fortschritt der Menschheit stricken können? Und ist die Sklaverei dann nicht die ehrlichere Organisationsform dafür?
Die Marx'sche Antwort
In den Analysen von Marx findet dieser Streit eine denkwürdige Auflösung: In der Tat basiere aller bisherige gesellschaftliche Fortschritt auf der Existenz einer jeweils arbeitenden Klasse, welche das Mehrprodukt der Gesellschaft produziert, und einer herrschenden, welche es sich aneignet. Im Fall der Sklaverei konstituiert sich das Verhältnis ganz offen durch physische Gewalt. Der lohnabhängige Mensch hingegen sei freie Rechtsperson, doch fehlten ihm zum Arbeiten die Produktionsmittel, die als Eigentum in der Hand des Kapitals existieren. Der 'stumme Zwang der Verhältnisse' nötigt ihn zum Verkauf der Arbeitskraft. Sklaverei unterscheide sich nicht substantiell von freier Lohnarbeit, auch wenn Marx, in Anlehnung an Smith, bei letzterer eine historische Tendenz zur Steigerung der 'Produktivkräfte' in Rechnung stellt. Im Unterschied zu den reaktionären Ideologen des amerikanischen Südens sieht Marx die Klassenspaltung der bisherigen Gesellschaften jedoch nicht als anthropologische Konstante: In der Revolution würden mit der Sozialisierung der Produktionsmittel die Lohnabhängigkeit ebenso wie historisch überkommene Formen von Sklavenarbeit oder Leibeigenschaft aufgehoben.
Unübersichtliche Lage
Bekanntlich kam es anders. Als scharfsinnige Entlarvung der rechtsförmig strukturierten Arbeitsmärkte in den Metropolen hat Marx' Analyse ihre Plausibilität nicht verloren. Als Prognose ginge sie fehl, wie etwa die Historikerin Heide Gerstenberger in 'Markt und Gewalt' gezeigt hat. Freie Lohnarbeit wurde nicht zur historischen Norm. Aufs Ganze der globalhistorischen Entwicklung bezogen, verteilten und verteilen sich die Arbeitsverhältnisse seit der Frühen Neuzeit über ein breites Spektrum, das von neofeudalen, sklavenähnlichen, minder freien bis hin zu 'freien' Organisationsformen reicht. Die am einen Ende stehen, können vom anderen nur träumen. Die Extremform der Sklaverei mit ihren absoluten Härten soll nicht im Geringsten verharmlost werden. Um abhängige Arbeit handelt es sich indes bei allen und alle hätten reichlich Veranlassung, sich nicht gegeneinander ausspielen zu lassen und ihren Teil vom gesellschaftlichen Reichtum und an verfügbarer Lebenszeit zu erkämpfen.