In der Tarifrunde 2009 beteiligten sich beamtete Lehrer an den Warnstreiks der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und verletzten damit ein Tabu, das wie kaum ein anderes Dogma mit aller Leidenschaft verteidigt wird. Nach herrschender Juristenmeinung unterliegen hierzulande, im Unterschied zu den meisten europäischen Rechtsordnungen, alle Beamten, gleich in welcher Funktion, Behörde und Einrichtung sie arbeiten, allein aufgrund ihres Beamtenstatus‘ einem absoluten Streikverbot. Folgerichtig wurden die Streiks der Lehrer disziplinarisch geahndet; die Verwaltungsgerichte gaben ihren Segen – bis auf zwei Ausnahmen: Die Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Kassel hoben die Disziplinarverfügungen mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) auf, was freilich in der nächsten Instanz wieder korrigiert wurde. Immerhin räumte das Bundesverwaltungsgericht [1 Anmerk.: Entscheidung vom 27.2.2014 – 2 C 1/13.] erstmals einen Widerspruch zwischen dem deutschen Streikverbot und der vom EGMR [2 Anmerk.: Vgl. z.B. die Entscheidung vom 12.11.2008 – 34503/97 – (Demir u. Baykara ./. Türkei) und vom 21.4.2009 – 68950/01 (Enerji Yapi-Yol Sen ./. Türkei).] auch den Beamten zugesprochenen Streikfreiheit ein; diesen Widerspruch habe allerdings der Gesetzgeber aufzulösen. Selbst diese behutsame Öffnung zugunsten einer völkerrechtsfreundlichen Korrektur hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nunmehr wieder gesperrt [3 Anmerk.: Entscheidung vom 12.6.2018 – 2 BvR 1738/12 u.a.] und das Streikverbot gegen völkerrechtliche Intervention abgeschirmt.
Unbedingte Gehorsamspflicht
Das Verbot gelte verfassungsunmittelbar. Als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums blicke es, wie in Art. 33 Abs. 5 GG vorausgesetzt, auf eine längere traditionsbildende Geschichte zurück und sei bereits unter der Weimarer Reichsverfassung (WRV) als verbindlich anerkannt worden. Überdies sei es mit anderen verfassungsrechtlichen Grundlagen des Berufsbeamtentums untrennbar verbunden. Ein Streikrecht „auch nur von Teilen der Beamtenschaft“ sei dazu angetan, die „funktionsnotwendigen Prinzipien der Treuepflicht, der Alimentation, der Lebenszeitanstellung sowie der hoheitlichen Festlegung der Arbeitsbedingungen durch den Gesetzgeber“ auszuhebeln. Der „dem Staat innerlich verbundene“ Beamte habe dem Dienstherrn nicht zuletzt in Krisenzeiten seine gesamte Arbeitskraft in voller Hingabe an das Amt zur Verfügung zu stellen; zum Ausgleich gewähre ihm der Staat Lebensunterhalt in Gestalt einer amtsangemessenen Besoldung und Versorgung. Ein Streikrecht sprenge dieses ausgewogene System und untergrabe mit der Stabilität der Verwaltung die Funktionsfähigkeit des Staates (Rn 152 ff.).
Doch so apodiktisch diese und andere Feststellungen daherkommen, so angreifbar sind sie. Schon die zum Nachweis der Traditionstiefe geforderte Anerkennung in der Weimarer Republik steht auf tönernen Füßen. Das – übrigens bis heute – einzige gesetzliche Verbot hatte der Reichspräsident in einer Notverordnung vom 1. Februar 1922 gegen einen Streik der Gewerkschaft der Deutschen Eisenbahn-Beamten und -Anwärter erlassen. Das Verbot währte acht Tage und wurde nach Streikende am 9. Februar 1922 wieder aufgehoben.
Es ist von der Verwaltung – wen wundert‘s? – beifällig aufgenommen und von den Gerichten bestätigt worden, unter anderem unter Rückgriff auf das Reichsbeamtengesetz von 1871, das die Beamten in einem öffentlich-rechtlichen Gewaltverhältnis einer unbedingten Gehorsamspflicht unterwerfe. So avanciert ein verwaltungsrechtlicher Eckpfeiler des Wilhelminischen Obrigkeitsstaats zur Quelle eines Grundrechtsentzugs unter der freiheitlichen Verfassung unserer Tage. Überdies wurde das Verbot des Eisenbahnerstreiks von 1922 unter einer Verfassung verhängt, die anders als das GG mit der Koalitionsfreiheit noch kein Streikrecht verband. So wurden auch Arbeiter und Angestellte in versorgungswichtigen Betrieben wiederholt mit Streikverboten konfrontiert. Das auf diese Rechtslage gestützte Verbot ist daher in Qualität und Eingriffsschärfe mit einem Grundrechtseingriff unter dem GG nicht vergleichbar.
Ein Streikrecht der Beamten soll, so das BVerfG, das ausgewogene System von Rechten und Pflichten sprengen und die verfassungsrechtlich vorgegebene Ordnung des Berufsbeamtentums grundsätzlich in Frage stellen. Damit betreten wir das wohlbestellte Feld des beamtenrechtlichen Sonderstatus‘, dessen tragende Säulen in jahrzehntelanger Rechtsprechung mit Hilfe der „hergebrachten Grundsätze“ mit Verfassungsrang versehen wurden. Diese Binnensicht auf das beamtenrechtliche Normengeflecht mit stets abrufbarem Verfassungsbezug immunisiert in gleicher Weise gegen die Anfechtungen nicht konformer Verwaltungspraxis wie gegen die Zumutungen völkerrechtlich verbürgter Freiheitsrechte. In der Realität hat sich nämlich die Verwaltung längst von der Herrschaft der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums verabschiedet und immer größere Bereiche des öffentlichen Dienstes dem Regime des Arbeits- und Tarifrechts unterstellt.
Norm und Wirklichkeit
Ist etwa die vom Gericht beschworene Kontinuität des Verwaltungshandelns dadurch in Frage gestellt, dass quer durch alle Funktionen und Behörden Seite an Seite mit den 1,7 Millionen Beamten mehr als 3 Millionen Arbeiter und Angestellte tätig sind, denen unstreitig das Streikrecht zusteht? Warum sollten Rechtsstaat und Funktionsfähigkeit des Staates, warum sollte der staatliche Bildungsauftrag in Gefahr geraten, wenn die Mehrheit der Tarifbeschäftigten von ihrem Streikrecht Gebrauch macht? Wie überzeugungskräftig ist die angebliche Funktionsnotwendigkeit der beamtenrechtlichen Treuepflicht und der vollen Hingabe an das Amt, wenn die verbreitete Privatisierungsobsession selbst vor so sensiblen Sektoren wie der öffentlichen Sicherheit oder der Erstellung von Gesetzesvorlagen durch ministeriell dazu beauftragte Anwaltskanzleien nicht Halt macht?
Was schließlich die vom Gesetzgeber festgelegte Vergütung angeht, ist daran zu erinnern, dass die Beschäftigungsbedingungen der Beamten seit langem faktisch in den Tarifrunden des öffentlichen Dienstes mitverhandelt werden; nicht selten verpflichten sich die öffentlichen Arbeitgeber sogar ausdrücklich, die Tarifbedingungen auf die Beamten zu übertragen. Die einzige in letzter Zeit ins Kraut geschossene Besonderheit liegt darin, dass der Gesetzgeber den Beamten mitunter die volle Gleichstellung vorenthält oder bestehende Leistungen abbaut. Nur Zyniker werden diese Praxis als Triumph des Rechtsstaats und der Unabhängigkeit der Beamtenschaft feiern!