Die Bedingungen für die Lehrkräfte in der Flüchtlings- und Zuwanderungsbeschulung sind heftig. Ihnen wird einiges abverlangt. Die Klassenfrequenzen waren wegen der hohen Zuwanderung von 16 auf 20 Schülerinnen und Schüler gestiegen. « Ute Möhle, Koordinatorin für diese Bereiche beim Bremerhavener Schuldezernenten Michael Frost kennt sich aus. Sie ist selbst Lehrerin und hat mit jungen Menschen, die nach Deutschland und Bremerhaven gekommen sind und schnell Deutsch lernen wollen, jede Menge Erfahrungen gesammelt. Und die Lerngruppen in den Willkommens- und Vorkursen sind zudem meist sehr heterogen.
Auch das Alter der Lernenden kann in den Gruppen nicht immer harmonisiert werden.
Ende 2015 und im vergangenen Jahr war der Organisationsaufwand für die Stadt noch größer: Lehrkräfte finden und einstellen, Kindern und Jugendlichen ohne große Wartezeiten den Zugang zu Bildungsmaßnahmen verschaffen und die Fortbildung für die Unterrichtenden, die in der Regel keine vollausgeblildeten Lehrerinnen oder Lehrer sind, sichern.
Zudem gab es Raumknappheit und einige jungen Menschen mussten in die Warteschleife. Möhle: »Wir hatten zeitweise mehr als 700 Kinder und Jugendliche, die in die Schule wollten, aber nicht sofort konnten.« Mittlerweile konnte diese Zahl entscheidend gesenkt werden. Es gibt nur noch in Ausnahmefällen eine Wartezeit bis zum ersten Bildungsangebot.
»Die Lage hat sich entspannt «, sagt die Koordinatorin.
Möhle stellt heraus, dass im Unterschied zur Stadt Bremen, alle Lehrkräfte beim Magistrat – und damit bei einem öffentlichen Arbeitgeber – angestellt sind. Damit in Zukunft genug Pädagoginnen und Pädagogen – ausgestattet mit vernünftigen Veträgen – zur Verfügung stehen, fordert Möhle unter anderem eine schnellere und umfassendere Anerkennung ausländischer Abschlüsse.
GEW-Landesvorstandssprecher Bernd Winkelmann ergänzt: »Und das nicht nur wegen des Mangels an Lehrkräften, sondern auch, um zwischen den Kulturen in vielfältiger Weise zu vermitteln. « Die Koordinatorin hätte weniger Probleme bei ihrer Arbeit, wenn die Forderung bei der Bildungsbehörde in Bremen mehr Gehör finden würde.
»Wir haben ausgebildete Lehrkräfte aus Osteuropa, aber sie können aus formalen Gründen nicht eingestellt werden. Wir haben da ein ungenutztes Potenzial. Und die ausländischen Kolleginnen und Kollegen benötigen auch eine berufliche Perspektive.«
Um dieser Forderung an die Bildungssenatorin Claudia Bogedan Nachdruck zu verleihen, hat die GEW Bremerhaven einen Antrag für den Gewerkschafttag Ende November vorbereitet. Darin wird begründet, dass die ausländischen Lehrkräfte mit ihren Herkunftssprachen den zugewanderten Kindern und Jugendlichen Lernerleichterungen verschaffen könnten.
Winkelmann bringt den Widerspruch in diesem Zusammenhang auf den Punkt. »Wenn mehr ausländische Lehramtsabschlüsse als gleichwertig anerkannt wären – und nicht nur einzelne Komponenten –, müssten weniger Studierende als Hilfslehrkräfte in den Schulen der Seestadt aushelfen.« Die Nachwuchslehrkräfte ohne Masterabschluss oder ohne Referendariat sind nicht selten überfordert, wenn sie bei der Flüchtlings- und Zuwanderungsbeschulung die Kollegien unterstützen. Sie haben zwar keine vollen Stellen, aber sie müssen die komplexen pädagogischen Herausforderungen im Schulalltag meistern.
Das nahezu bundesweite Problem des Lehr- und Fachkräftemangels beeinträchtigt auch die Bildungssituation im Bereich der Flüchtlings- und Zuwanderungsbeschulung in Bremerhaven. Nach Ansicht von Möhle und Winkelmann müssen die Rahmenbedingungen für Quer- und Seiteneinstiege wesentlich verbessert werden.
Insbesondere müsse es Qualifizierungsmaßnahmen mit dem Ziel einer Gleichwertigkeit zum zweiten Staatsexamen geben, denn in Bremerhaven ist mittlerweile mindestens jede sechste Lehrkraft ohne Abschluss tätig. Mentorinnen und Mentoren, die an den Schulen qualifizieren, müssten für diese Tätigkeit freigestellt werden, so eine weitere Forderung.
Auch die Lernbedingungen für die »Einsteigenden« sollten durch entlastende Arbeitsbedingungen so attraktiv sein, dass diese Neu- Kollegen/innen nicht überfordert an den Herausforderungen scheitern. Da in Bremerhaven die Zuwanderungsquote aus dem EU-Ausland – vor allem aus Bulgarien und Griechenland – besonders hoch ist, gibt es zusätzlich finanzielle Belastungen.
Die Finanzierung der Beschulung dafür muss die jeweilige Kommune übernehmen. Bei Flüchtlingen übernimmt der Bund und die Länder die Kosten. Finanziert werden muss der Schulbesuch derzeit von mehr als 18000 Schülerinnen und Schülern, davon sind ca. 1200 in Willkommensklassen oder Vorkursen. Diese Mammutaufgabe ist bei der bekannten Haushaltsnotlage nicht so leicht zu stemmen.
Die Verteilung der Kinder und Jugendlichen auf die Schulen, die in den vergangenen beiden Jahren nach Bremerhaven gekommen sind, hat bisher gut geklappt, so Möhle.
Nahezu alle Bildungsstandorte in der Seestadt beteiligen sich an dieser neuen Herausforderung. Dies ist auch deshalb gelungen, weil in Bremerhaven im Vergleich zu Bremen weniger unbegleitete Flüchtlinge gelandet sind. Hilfreich für eine schnelle und nachhaltige Integration wären auch ausgearbeitete Curricula für alle Schulstufen. »Insbesondere im Bereich Sekundarstufe I fehlen sie«, sagt die Koordinatorin. Ein weiteres wichtiges pädagogisch gesellschaftliches Ziel ist die möglichst schnelle gemeinsame Beschulung von Kindern aus Bremerhaven sowie von geflüchteten und zugewanderten Kindern. »Dafür muss aber die gesamte Ausstattung stimmen – bezogen auf Lehr- und Lernmaterial, Gruppengröße, -zusammensetzung und die Qualifikation der Lehrkräfte«, fordert Winkelmann.
Ute Möhle ergänzt: »Wenn es zu Problemen in den heterogenen Klassen kommt, stehen die Lehrkräfte und die Fachkräfte für Deutsch als Fremdsprache oft vor einer unlösbaren Situation. Dann müssen Sonderpädagogen/innen zur Verfügung stehen. Die fehlen aber oft.«