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Zeitlupe

Aufklärung mit der „Grundfarbe Deutsch“

Wie ein Bremer Herzchirurg den Dialog mit Rassist:innen sucht

Umes Arunagirinathan

Ich sehe mich nicht als Opfer. Ein promovierter Arzt, der als Flüchtling kam, kann erstens kein Opfer sein, außerdem habe ich gelernt, mit Rassismus umzugehen. Und ich glaube immer noch daran, dass ich auch mit Rassisten reden kann. Viele wissen gar nicht, dass sie rassistische Dinge sagen und was sie damit beim Gegenüber auslösen können. Es ist wichtig, sie zu sensibilisieren. Ich glaube, dass viele Menschen, die Vorurteile haben, reflektieren und lernen können. Natürlich suche ich nicht den Dialog mit einem gewalttätigen Nazi. Je jünger wir diese Leute anpacken, desto besser. Deswegen gehe ich auch gerne in Schulen. Wenn Erwachsene rassistisch sind, ist es schwierig, sie zu erreichen. Aber wenn deren Kinder Zugang zu dem Thema finden, haben wir eine größere Chance, die Gesellschaft langfristig offener zu machen.

Mit Sympathie gegen Vorurteile

Wenn ich mich im Zug hinsetzen will und diese Blicke spüre, bei der Wohnungssuche, wenn Patienten überrascht sind oder wenn ich in einem Laden einkaufe und gefragt werde, was ich beruflich mache – weil es nicht ins Bild passt, dass ich mir die Schuhe leisten kann. Immer wenn ich merke, dass mein Gegenüber Vorurteile hat oder Distanz aufbaut, versuche ich, unglaublich sympathisch zu sein. Ich möchte nicht das Bild bestätigen, was jemand von mir hat.

Verbote stimulieren Rassismus

Ich will Rassismus nicht verharmlosen, auch Begriffe wie Mohren-Apotheke nicht. Aber ich möchte nicht mit Verboten arbeiten. Dadurch spalten wir die Gesellschaft. Ein Verbot ist für viele Menschen eine Einschränkung ihrer Freiheit. Mit Verboten stimuliert man sogar Rassismus. Dann gehen eben viele Menschen in eine Partei, in der sie angeblich genau das sagen können, was in der Gesellschaft tabu ist. Bei Lesungen erfahre ich von Menschen, dass sie sich an vermeintlichen Verboten stören. Sie sind gar nicht so rassistisch, sie fühlen sich einfach subjektiv beeinträchtigt. Genau mit denen will ich reden. Ich liebe diese Gespräche.

Hindernisse und Möglichkeiten

Ich möchte, dass man mich als Deutschen wahrnimmt. Ich will nicht anders aussehen – aber ich möchte eine Grundfarbe haben, mit der sich alle identifizieren. Für mein Buch hatte ich viele Motivationen. Ich hatte so viel Glück auf meinem Weg. Das möchte ich teilen, so dass Menschen, die heute zu uns kommen, meine Geschichte hören und erfahren können, welche Hindernisse und Möglichkeiten es gibt. Ich möchte die Menschen, die den Ankommenden gegenüber skeptisch sind, aufklären. Ich erwarte, dass die Ankommenden den Schlüssel nehmen, der ihnen hier gereicht wird. Konkret heißt das, dass sie die Möglichkeiten für Integration in Anspruch nehmen sollten: Sprachförderung, Schule, Arbeit.

Beim Thema Arbeit gibt es heute aber immer noch viel zu verbessern: Es kommen so viele junge Menschen und hier fehlen so viele Fachkräfte. Ob das Asylberechtigte sind oder nicht – es ist doch menschlich zu verstehen, dass jemand aus wirtschaftlichen Gründen herkommt, um seine Kinder zu ernähren, auch wenn in seiner Heimat kein Krieg ist. Nicht jeder Flüchtling muss promovierter Herzchirurg sein. Aber jeder kann einen Teil beitragen. Und eine Mutter mit drei Kindern muss natürlich nicht zum Arbeiten gezwungen werden. Die soll die Gesellschaft tragen. Aber nicht jemanden, der fähig ist zu arbeiten.

Umes Arunagirinathan, 44 Jahre, arbeitet als Herzchirurg am Klinikum Links der Weser in Bremen. Im Alter von 13 Jahren kam er wegen des Bürgerkriegs als unbegleiteter Geflüchteter aus Sri Lanka nach Hamburg. Dort machte er sein Abi, studierte in Lübeck Medizin, war Assistenzarzt an der Uniklinik Hamburg-Eppendorf und arbeitete anschließend unter anderem in der Charité Berlin. Seine Aussagen und Einschätzungen sind Auszüge aus einem taz-Interview. Die Veröffentlichung im bildungsmagaz!n hat die Autorin Alina Götz freigegeben. Vielen Dank dafür.

Das Buch „Grundfarbe Deutsch – Warum ich dahin gehe, wo die Rassisten sind“ ist im Verlag Rowohlt erschienen | ISBN 978-3-499-00955-6 | € 17,–