Zum Inhalt springen

Kolumne

Arbeitszeit: Jetzt ist Schluss mit lustig!

Was ich schon immer mal sagen wollte – Eine Kolumne von Angelika Hanauer

Die Arbeitszeit von Lehrkräften ist ein Dauerbrenner. Trotz aller Bemühungen gab es seit Ewigkeiten keine Verbesserungen – im Gegenteil. Dabei ist doch eigentlich alles längst gut untersucht: Ein Großteil der Lehrer:innen überschreitet die gültige Arbeitszeit und viele arbeiten in Schulwochen mehr als die gesetzliche Höchstgrenze von 48 Stunden. Das ist kein Geheimnis und z. B. nachzulesen in den „Empfehlungen zur Entwicklung arbeitszeitrechtlicher Normen für Lehrerinnen und Lehrer sowie Schulleitungen an niedersächsischen Schulen“, die 2018 im Auftrag des Niedersächsischen Kultusministeriums von einer unabhängigen Expert:innengruppe verfasst wurden. Aber warum klappt es eigentlich so schlecht, die gesetzlich vorgeschriebene Arbeitszeit einzuhalten?

Nur Unterricht zählt

Da die Arbeitszeit sich aus der Zahl der Unterrichtsstunden ergibt, ist sie nur schwer greifbar. Solange es nur eine überschaubare Anzahl weiterer Aufgaben gab (für die Jüngeren: Das war in grauer Vorzeit, als die Schule noch schwarzweiß war), mag das noch hingekommen sein, inzwischen haben die außerunterrichtlichen Tätigkeiten aber massiv zugenommen. Die Zahl der Unterrichtsstunden wurde aber nie abgesenkt. Nicht einmal deren Erhöhung im Jahr 1997 wurde wieder zurückgenommen.

Perfide ist, dass nur zusätzliche Unterrichtsstunden als Überstunden gewertet werden. Ihr könnt euch also ansonsten dumm und dusselig arbeiten – das zählt einfach nicht. Und als ob das nicht schon fies genug wäre, nutzt unsere Arbeitgeberin auch noch eine Regelung aus dem Beamtenrecht um diese Überstunden nicht ausgleichen zu müssen. Das muss nämlich erst geschehen, wenn ein Achtel der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit im Monat überschritten wird. Bei Angestellten in Vollzeit gilt übrigens: mitgefangen - mitgehangen. Jetzt ratet mal, wie viele Vertretungsstunden Lehrkräften in der Regel aufgebrummt werden...

Rechtswidrige Dauerausnahme

Die Mehrarbeit darf sich allerdings laut Beamtengesetz nur auf Ausnahmefälle beschränken. Aber eine Ausnahme liegt gewiss nicht Woche für Woche vor. Das ist schlicht rechtswidrig! Dafür können wir uns aber nur etwas kaufen, wenn sich genügend dagegen wehren und notfalls auch klagen. Leider passierte das bisher nicht. Vermutlich fehlt neben der hohen Arbeitsbelastung einfach die Kraft dafür. Personalrät:innen können das leider nicht stellvertretend tun, so wie bei der U-50-Stunde, da die Arbeitszeit im Personalrat ganz anders gestaltet ist. Aber vielleicht werdet ihr ja sauer genug, wenn ihr euch das Ausmaß bewusstmacht.

Die Behörde schuldet uns eine halbe Million Euro im Monat

Ich mache mal eine einfache Rechnung auf: Im Mai 2022 sind laut Statistik der Bildungsbehörde 4 Prozent von 429.074 Stunden vertreten worden. Das wären 17.163 Stunden. Die Mehrarbeitsvergütung beträgt bei A13 30,74 Euro brutto. Das wären dann allein für den Monat Mai 527.590 Euro, die wir der Behörde „schenken“. Bei einer Lehrkraft, die regelmäßig Vertretungen macht, kommen da im Jahr schnell tausend Euro zusammen – habt ihr dafür eigentlich schon eine Spendenbescheinigung bekommen?

Umgerechnet sind das 143 Vollzeitstellen á 27 Wochenstunden, die mal eben so eingespart werden. Mag sein, dass vereinzelt Stunden bezahlt werden – das kann ich nicht überprüfen. Dann wäre das aber eher eine Marginalie und die Mehrarbeitsvergütung fällt ohnehin geringer aus als das normale Gehalt. Fakt ist, dass ein nicht geringer Teil von Unterricht nur mit Hilfe von ständiger Mehrarbeit überhaupt erteilt werden kann. Dabei habe ich bestimmte Faktoren nicht einmal eingerechnet: die „Mitbetreuung“, bei der Kolleg:innen zwei Klassen gleichzeitig, tja was - betreuen, unterrichten, die Aufteilung von Klassen in Grundschulen, bei der die Kinder unversorgter Gruppen auf andere Klassen verteilt werden oder deren Betreuung durch Pädagogische Fachkräfte. Auch das spart massiv Geld und Stellen.

Heureka! Alle Arbeitszeit muss erfasst werden

Huch, grade hatte ich die Hälfte meiner Kolumne fertig, da flatterte folgende Nachricht herein: Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass alle Arbeitszeit erfasst werden muss. Damit wurde ein Urteil bestätigt, das der Europäische Gerichtshof bereits 2019 gefällt hatte. Nur hat das in Deutschland damals keinen gekratzt. Warum sollte man sich auch an europäische Rechtsprechung halten?

Das sollte die Ausgangslage gehörig verändern. Natürlich müssen wir jetzt überlegen, wie wir das Urteil für uns nutzen können. Ich höre in ersten Gesprächen mit Kolleg:innen eine gewisse Skepsis heraus. Sie sagen, wie soll das gehen, wenn ich zuhause arbeite und befürchten Kontrolle oder die vollständige Verlagerung der Arbeit in die Schulen.

Gretchenfrage: Vertraut uns die Behörde?

Bisher haben wir es mit sogenannter Vertrauensarbeitszeit zu tun. Die Dienstherrin vertraut also darauf, dass wir einen Teil unserer Arbeit zuhause erledigen – traut sie uns eigentlich wirklich? Wie viele Stunden das sind, bleibt unser „Privatvergnügen“. Sehr oft (siehe oben) wird es aber deutlich mehr sein, als vorgeschrieben. In Zukunft würden wir das z. B. mit Hilfe einer entsprechenden App erfassen. Auch dabei muss man uns vertrauen, denn schließlich ändert das im Grundsatz nichts. Und die Zeit in der Schule kann sowieso erfasst werden. Bei den allermeisten von uns, davon bin ich überzeugt, wird diese Erfassung dazu führen, dass Überstunden, und zwar eine Menge davon, sichtbar werden. Um die kann sich unsere Arbeitgeberin dann nicht mehr herumdrücken.

Sparmodell heimisches Arbeitszimmer

Überlegt man was nötig wäre, damit wir unsere gesamte Arbeitszeit in der Schule erbringen, wird schnell klar, mit welch enormen Kosten das für die Behörde verbunden wäre. Unser häusliches Arbeitszimmer ist nämlich ein traumhaftes Sparmodell. Wir zahlen selbst Miete oder Raten für Eigentum, Heizung und weitere Nebenkosten, Büromöbel, Computer (iPad ist zwar prima, aber eben nicht für alle anfallenden Aufgaben geeignet), Drucker, Telefon… Die steuerliche Absetzbarkeit fängt nur einen kleinen Teil der Kosten auf.

Das müsste bei einer Verlagerung in die Schule alles die Behörde zur Verfügung stellen und zwar nicht irgendeinen geteilten Arbeitsplatz, sondern einen für jeden und jede und zwar so gestaltet, dass er den Anforderungen des Arbeitsschutzes genügt. Das mutet doch sehr utopisch an.

Uns wird nichts geschenkt

Durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts muss jetzt endgültig Schluss mit lustig sein. Es muss sich etwas an der unzumutbaren, ständigen und unbezahlten Mehrarbeit vieler verändern. Aber ein Selbstläufer wird das vermutlich trotzdem nicht. Wir sollten uns auf einen Versuch der Behörde gefasst machen, ihr Sparmodell zu schützen. Sie hat es ja bisher auch verstanden, Recht in ihrem Sinne zu „interpretieren“. Wenn es so kommen sollte, müssen wir uns unbedingt dagegen wehren. Ich werde jedenfalls alles tun, damit unsere Arbeitszeit endlich auf ein vertretbares Maß zurückgestutzt wird.