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Arbeitszeiterfassung

Arbeitgeber in der Pflicht

GEW begrüßt Urteil zur Erfassung von Mehrarbeit

Seit es Gesamtschulen gibt, arbeiten Sozialarbeiter/innen und –pädagogen/innen an Bremens Schulen. Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen und der Erkenntnis, dass die Probleme an den Schulen neue Antworten brauchen, sind sie zunehmend beschäftigt worden, teilweise bei Schulvereinen 'neben' der Schule, manchmal aus unbesetzten Lehrkräftestunden bezahlt. 2014 wurden 55 Kollegen/innen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket der Bundesregierung in den Öffentlichen Dienst übernommen, 2017 weitere 80 von den Schulvereinen.

Jetzt wird ein schon länger beklagtes Problem offensichtlich: So wie sich bundesweit schon seit Jahrzehnten Sozialarbeit und Sozialpädagogik unter dem Begriff der Sozialen Arbeit als eine Profession sehen, mit einem Berufsverband und mit einer Berufsdefinition, so ist auch die Soziale Arbeit an Schulen, mit allen ihren spezifischen Ausformungen an den einzelnen Schulen, eine Schulsozialarbeit – jetzt sogar mit weitgehend einem Arbeitgeber. Die jeweils schuleigene Umsetzung führt dazu, dass es kein klares Bild der Möglichkeiten, Arbeits- und Sichtweisen sowie Anforderungen der Schulsozialarbeit in Bremen gibt, teilweise sind sogar berufsfremde Unterrichts- und Aufsichtsaufgaben zu übernehmen.

Die Schulsozialarbeit als Begriff für alle Soziale Arbeit an den Schulen braucht einen klaren Rahmen, mit dem die Kollegen/innen selbst, aber auch die anderen Berufsgruppen, Leitungen, Planer/innen, Eltern usw. umgehen können. Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) Schulsozialarbeit Bremen hat die Senatorin für Bildung von der Notwendigkeit der Entwicklung einer Bremer Rahmenkonzeption für die Schulsozialarbeit überzeugt und die Verabredung erreicht, diesen Prozess gemeinsam zu gestalten.

Mit einer Kick-off-Veranstaltung am 25. Januar im LIS ist der Prozess der Erarbeitung einer Rahmenkonzeption gestartet worden. Fast 100 Kollegen/innen aus der Schulsozialarbeit haben ihre Bedarfe, Erwartungen, aber auch Befürchtungen an eine stadtweite Konzeption formuliert. Jetzt sieht es die LAG als ihre Aufgabe, zusammen mit den Kollegen/innen die fachlichen und berufspolitischen Anforderungen im Prozess zu sichern. Als nächsten Schritt wird die Bildungssenatorin eine multiprofessionelle Arbeitsgruppe einrichten.

Die LAG-Vorsitzende Tanja Sündermann: „Das war ein guter Auftakt für eine breite Diskussion über unsere professionelle Stellung an den Bremer Schulen. Und wir sind uns sicher: Das kommt am Ende auch den Schulen und natürlich den Kindern und Jugendlichen zu Gute.“

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem jüngsten Urteil die Verantwortung für die Erfassung von Mehrarbeit klar den Arbeitgebern zugesprochen. Die EU-Staaten müssen nun Arbeitgeber dazu verpflichten, dafür zu sorgen, dass Beschäftigte die Arbeitszeitvorschriften wie Pausen- oder Ruhezeiten einhalten können. Ohne vollständige Aufzeichnung der Arbeitszeit wären die Schutzrechte der EU-Arbeitszeitrichtlinie ein zahnloser Tiger.

Diese klare Aussage des EuGH begrüßt die GEW. Bei der Umsetzung des Urteils durch die EU-Staaten wird die GEW sich dafür einsetzen, dass die selbstbestimmte Zeiteinteilung durch die Beschäftigten weiterhin möglich ist.

Denn auch unbezahlte und nicht erfasste Mehrarbeit ist im Bildungsbereich weit verbreitet: Die von der GEW beauftragten aktuellen Studien zur Lehrkräftearbeitszeit zeigen, dass Lehrkräfte im Durchschnitt weit über die tariflich vereinbarte oder beamtenrechtlich festgelegte Arbeitszeit hinaus arbeiten.

Erfasst wird bei ihnen nur die Zahl der Unterrichtsstunden. Auch in Kitas fällt unbezahlte Mehrarbeit an: Weil die Kolleg*innen kaum oder gar keine Vor- und Nachbereitungszeit erhalten und die Gruppen wegen des Personalmangels nur dünn besetzt sind, werden z.B. Einkäufe von Bastelmaterial, aber auch Elterngespräche oder Fortbildungen in der Freizeit absolviert.
Krasse Verhältnisse gibt es zum Teil in der Wissenschaft: Da bekommen Nachwuchskräfte oft nur halbe Stellen, es wird aber vielfach erwartet, dass sie jeden Tag voll arbeiten. Wenn in der Weiterbildung bei manchen Arbeitgebern die Unterrichtsverpflichtung der wöchentlichen Arbeitszeit entspricht, sind Vor- und Nachbereitung zwingend unbezahlte Arbeit.

Die Rechtsprechung des EuGH unterscheidet nicht zwischen Beamtinnen und Beamten und anderen Beschäftigten, seine Rechtsprechung gilt für alle abhängig Beschäftigten gleichermaßen.

Dabei gilt es, den Besonderheiten von Bildung, Erziehung und wissenschaftlichem Arbeiten Rechnung zu tragen.

Viele Bildungsbeschäftigte wollen auch künftig für bestimmte Tätigkeiten frei wählen können, wann und wo sie diese erledigen. Das darf aber nicht zu Selbstausbeutung und unbezahlten Überstunden führen. Die GEW setzt sich für Lösungen ein, die zugleich Freiheit und sozialen Schutz ermöglichen.

Drei Thesen zum Thema

1. Das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung hat eine starke Dynamik in die Diskussion um unbezahlte Mehrarbeit, Überstunden und mobiles Arbeiten gebracht. Diese Themen werden in der politischen Debatte miteinander verknüpft. Wenn die GEW die Interessen ihrer Mitglieder in dieser Debatte einbringen will, muss sie zeitnah sprechfähig sein. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierungskoalition steht bereits, dass es ein „Recht auf Home-Office“ geben soll. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil erklärte, die Bundesregierung wolle bis Ende des Jahres eine gesetzliche Regelung zur Umsetzung schaffen.

2. Weil die Arbeit von Lehrkräften und Wissenschaftler*innen traditionell – soweit es sich nicht um die unmittelbare Lehrtätigkeit handelt – räumlich und zeitlich selbstbestimmt und ohne Erfassung der tatsächlichen Arbeitszeit erbracht wird, sollten die Erfahrungen dieser Berufsgruppen nutzbar gemacht werden. Die Festlegung der geschuldeten Arbeitsleistung in Form einer Unterrichtsverpflichtung ist nichts anderes eine spezifische Ausprägung der in anderen Branchen erst in jüngerer Zeit aufgekommenen „Outputorientierung“, wie sie zum Beispiel in Zielvereinbarungen umgesetzt wird.

Die Beschäftigten empfinden ihre Freiheit, teilweise über Ort und Zeit der Erbringung ihrer Arbeitsleistung selbst bestimmen zu können, als einen Wert, den es aus ihrer Sicht zu verteidigen gilt. Dies muss bei der gewerkschaftlichen Positionierung zur Arbeitszeiterfassung berücksichtigt werden.

3. Arbeitszeiterfassung führt weder zwingend zu einer Einschränkung bezüglich des Arbeitsortes noch schränkt es die Freiheit der Beschäftigten über das bereits bislang geltende Recht hinaus ein. Anders lautender „Angstmache“ sollte die GEW entschieden entgegentreten. Der öffentliche Diskurs von der „Wiederkehr der Stechuhr“ ist eine (teils bewusste) Fehlinterpretation des Urteils. Diese dient dazu, die berechtigten Wünsche der Beschäftigten nach mehr Souveränität bei der Wahl von Arbeitszeit und Arbeitsort zu missbrauchen, um diese gegen eine Durchsetzung der EU-Schutzvorschriften in Stellung zu bringen.