Bildung und Gesellschaft
Anatomie eines Staatsstreichs
Randnotizen zum amerikanischen Faschismus
Ihr Marsch durch Präsidentschaft und beide Parlamentskammern hat die zweite Trump-Administration in einen beispiellosen Siegesrausch versetzt. Vom ersten Tag an lassen sich ihre Ziele und Methoden gewissermaßen im Idealtypus studieren, kaum noch relativiert durch irgendeine Rücksichtnahme auf Opposition in der Demokratischen Partei oder den eigenen Reihen
Eine Flut an Dekreten, Massendeportationen, Entlassungen unliebsamer Angestellter aus dem Staatsapparat, massiver Druck auf die Universitäten u.ä. haben liberale Intellektuelle wie Marci Shore, Timothy Snyder und Jason Stanley dazu veranlasst, mit ihren Lehraufträgen nach Kanada zu emigrieren. Alle drei haben sich im Zuge ihrer Forschungen u.a. der Geschichte rechtsextremer Bewegungen gewidmet. Sie zögern nicht, die neue Regierung unter den Begriff „faschistisch“ zu subsumieren.Trotzdem ist Sorgfalt geboten, wurde das in politischen Kämpfen aufgeladene Wort doch oftmals inflationär gebraucht, weshalb die Forschung sich seit längerer Zeit streitet, ob es als Typisierung überhaupt noch haltbar ist. Insbesondere die nationalsozialistische Obsession mit dem Antisemitismus und das Grauen der Shoah lassen das Dritte Reich als Sonderfall erscheinen. Forschende wie Robert Paxton suchen nach Wesensmerkmalen von Mussolinis Schwarzhemden, den ungarischen Pfeilkreuzlern, der französischen Action Française und vergleichbaren Bewegungen.
Feindliche Brüder
Eine der Schwierigkeiten besteht dabei in der Unterscheidung zwischen reaktionären Strömungen der politischen Rechten einerseits und dem eigentlich faschistischen Lager andererseits. Sie löst sich auf, sofern man die fließenden Grenzen zwischen beiden anerkennt und versucht, Umschlagspunkte vom einen zum anderen zu bestimmen. Zum Fundament rechter Ideologie gehören extremer Nationalismus und Großmachtstreben. Die Emanzipation des Einzelnen aus vorgeordneten Kollektiven seit der Französischen Revolution, das spätere Aufkommen von Feminismus und Sozialismus gelten ihnen als Zersetzung des nationalen Gefüges, zu dem die Keimzelle der patriarchalen Familie, Nationalstolz, soldatische Tugenden und Abgrenzung gegen „Fremdes“ gehören.
Gegen den lästigen Geist der Aufklärung werden Glaube, Mythos und Verschwörungserzählungen in Stellung gebracht.
Vernunft schrumpft explizit auf jene zweckrationale Ingenieurskunst zusammen, die für Waffen- und Warenproduktion vonnöten ist. Während klassisch rechte Parteien dafür bei Wahlen antreten und ihren Einfluss gegebenenfalls in Koalitionen ausüben, halten faschistische Gruppen einen notfalls gewaltsamen Bruch mit Staat und Kultur in deren überkommenen Formen für nötig.
Radikalisierter Nationalismus
In Krisenzeiten, etwa nach verlorenen Kriegen, glauben sie, keine Zeit mehr verlieren zu können, da ansonsten der Untergang des geliebten Vater- oder gleich Abendlandes drohe. Parlamentarismus und Gewaltenteilung, Pluralismus und Minderheitenrechte, supranationale Kooperation und Migration erscheinen ihnen selbst als Ausgeburt des vermaledeiten Liberalismus, von verräterischen Eliten erfunden, um den nationalen Zusammenhalt zu untergraben. Vorschnelle Putschversuche, so mussten sie historisch erfahren, führen jedoch zu nichts. So beschreitet man zunächst den Weg als Partei, wenngleich man sich selbst eher als Bewegung begreift. Elegant kann man sich in die Pose des Revolutionären werfen, nicht zuletzt, um Jugendliche für sich zu gewinnen und proletarische Schichten von deren traditionell linken Milieus abzuwerben. Aus demselben Grund verkündet die Propaganda, man sei weder rechts noch links, sondern Ausdruck des Volkswillens. Oft trennen sich an diesem Punkt die Wege mit den klassisch Rechten, denen jegliche revolutionäre Attitüde ein Gräuel ist. Zudem geraten bisweilen auch die konservativen Eliten ins Visier des Faschismus, weshalb die Nazis, im Gegensatz zu den Deutschnationalen, nicht an den aus ihrer Sicht abgewirtschafteten Wilhelminismus der Vorkriegszeit anknüpften. Allerdings, sofern ein Wahlsieg von links droht, greift man im klassisch rechten Establishment nolens volens auf die faschistischen Schmuddelkinder zurück:
Weder Hitler noch Mussolini wären ohne Bündnisse mit legalistisch konservativen Kräften an die Macht gekommen.
Entgegen dem Augenschein des im Nachhinein mystifizierten Marsches auf Rom 1922 hatte der italienische König schon kurz vorher dem künftigen Duce das Terrain geebnet. Und Hindenburgs Rolle ist bekannt.
Von der Machtübertragung zur Machtergreifung
Hat man die Kommandohöhen des States erklommen, ist das Momentum für eine Umgestaltung von innen zu nutzen. Gezielt muss das faktische Übergewicht der Exekutive über die anderen Gewalten zum Einsatz kommen, am besten mittels Ausrufung des Ausnahmezustandes. Eine reale oder imaginierte Krise bietet den Anlass. Verschwörungstheorien entwerfen das Schreckbild eines gefährlichen Feindes, der hinter allem steckt und unbarmherzig ausgeschaltet werden muss. Solche Propaganda der Angst hat den Rückhalt der Bevölkerung, zumindest ausreichend großer Teile, zu gewährleisten, damit die Staatsmacht ungestört zuschlagen kann. Potenziell gegnerische Stimmen sind aus dem Staatsapparat zu entfernen. Schlüsselstellen sind mit eigenen Leuten zu besetzen. Die Sphären von Bildung, Kunst und Kultur haben sich nunmehr „wieder“ dem Ziel der reaktionären Nationalerziehung zu widmen. Wie radikal solche Gleichschaltung zuschlägt, hängt von ideologischen und anderen Faktoren ab. Selbst Mussolini, obwohl gerade er den Begriff des Totalitären rhetorisch ausgeschlachtet hat, arrangierte sich mit dem eigentlich ideologischen Konkurrenten, dem Katholizismus, nachdem dieser sich politisch äußerst flexibel zeigte. Außenpolitisch sind alle vermeintlichen „Fesseln“ abzuschütteln und Verluste wieder wettzumachen. Kolonien sind eventuell zurück-, zusätzliches Territorium ist zu erobern, um den Großmachtanspruch der Nation zu erneuern. Ein sozialdarwinistischer Kult der Gewalt liefert die Legitimation. In der Frage des Machterhalts gibt es mittlerweile eine Reihe von Optionen, vom Führerstaat bis hin zur „illiberalen“ plebiszitären Demokratie, bei der durch klare Dominanz regierungsnaher und Marginalisierung kritischer Medien die „Volksseele“ bei Laune gehalten wird und pariert.
Und Trump?
Vor dem Hintergrund dieser fraglos groben Skizze lässt sich dennoch feststellen:
Was Trump seit dem Amtsantritt verfolgt, ist der Versuch eines faschistischen Putsches aus der Machtvollkommenheit der Exekutive heraus, im Geist nationalistisch-imperialer Restauration.
Migration und Handelsdefizit instrumentalisiert er zur Ausrufung des Ausnahmezustandes. Mit der Okkupation des FBI, in das er nunmehr leichter als während der ersten Amtszeit eigene Hardliner einschleusen kann, verfügt er sukzessive über die Macht, Leute festnehmen und anklagen zu lassen. Massenentlassungen säubern den öffentlichen Sektor von potenziell Andersdenkenden und gehen mit der Zerstörung ganzer Institutionen einher. Ins Kreuzfeuer gerät alles, was der Trumpismus als „woke“ und „kommunistisch“ deklariert, von sozialstaatlichen Programmen über Entwicklungshilfe und Sexualaufklärung, bis hin zu Gedenkkultur und öffentlichen Fernsehsendern. Museen und Bildungsinstitutionen, soweit unter Bundesrecht stehend, werden an die Kandare genommen. Außenpolitisch sucht er den Schulterschluss mit dem liebevoll als „Vladimir“ adressierten russischen Staatschef und anderen rechten Regierungen, der Aufbau einer dementsprechenden „Achse“ liegt nahe. Im imperialen Kontext bringt er die Annexion Grönlands oder Kanadas ins Spiel.
Aushebelung der Gewaltenteilung
Wie der Verfassungsrechtler Bruce Ackerman erklärt, findet all dies unter offener Missachtung des Rechtes statt. Die mittlerweile schon eintrudelnden gerichtlichen Restriktionen versucht Trump überwiegend zu ignorieren, darauf setzend, dass sie exekutiver Durchsetzung bedürfen. Wer in den Bundesbehörden, FBI oder Nationalgarde, würde sie vollstrecken? Er vertraut vermutlich darauf, nach und nach missliebiges Personal in Gerichten und Staatsanwaltschaften austauschen zu können, nach altbekanntem Muster. Loyale Gouverneure der Bundesstaaten werden ihm nacheifern. Unbotmäßige Gouverneure demokratischer Provenienz wird er durch Erpressung mit Geldentzug und andere Formen der Bedrohung in Schach halten wollen.
Nach derselben Logik verlässt er sich bislang wenig auf die Legislative, insbesondere seine republikanische Mehrheitsfraktion, wo ja immer noch einige Abgeordnete sitzen, die nicht voll auf Linie sind. Er zieht den bonapartistischen Stil vor, das Regieren durch Dekrete. Propagandistisch inszeniert wird jede Unterschrift, die den neuen Präsidenten als Tatmenschen ausweist. Fox News assistiert mit Bildern von Deportationen. Der Mythos vom Notstand an der Südgrenze will befeuert sein. Zur besten Sendezeit flimmern dehumanisierte, in Ketten gelegte Körper vermeintlicher oder tatsächlicher Gangmitglieder aus Mittelamerika über den Bildschirm - finstere Tätowierungen in Großaufnahme müssen als Beweis genügen. Leni Riefenstahl wäre vor Neid erblasst. Trump setzt auf Zeit, schafft Tatsachen, inzwischen fressen sich seine Leute wie ein Krebsgeschwür in den Staatsapparat, gewiss laufen auch bislang distanzierte Angestellte mit karrieristischen Ambitionen der MAGA-Regierung zu. Schon wird kolportiert, die eigentlich progressiv gesinnten Kreise in Hollywood und im Silicon Valley hielten sich mit Kritik zurück aus Furcht vor Vergeltungsmaßnahmen.
Friedensfreund Trump?
Soll der faschistische Charakter des gerade ablaufenden Spektakels bestritten werden, wird häufig behauptet, Trump sei eher an Geld als am Krieg interessiert. Schließlich verfüge er nicht über eine paramilitärische Miliz und strebe weder die totale Militarisierung der Gesellschaft noch eine große Entscheidungsschlacht an. Wo traditioneller Konservatismus Dekadenz anprangert, lebt er sie aus. Vergleichen wir dies mit dem Gedankengut der „Konservativen Revolution“ der Zwanzigerjahre, verknüpft mit dem Namen von Arthur Moeller van den Bruck. Sie zelebrierte ostentative Verachtung für den vorgeblichen Materialismus des Massenmenschen, den seine Individualisierung, sein Ausbrechen aus dem Griff von Familie und Kirche nur zu Vereinzelung geführt habe. In einer antikapitalistischen Variante desselben Gedankens war es eine vorgebliche Fixierung auf Konsum, die solche „Degeneration“ bewirkt hatte. Die Sucht des Pöbels nach Brot und Spielen entfremdete ihn von seiner völkischen Herkunft. Das Gegenbild dazu bot der opferbereite Soldat, seiner Bestimmung verpflichtet, im Dienst an der Nation aufzugehen. Wahre Individualität, so wird mit schaler Dialektik proklamiert, konstituiere sich im Akt ihrer Selbstaufgabe.
Kapitalistischer Übermensch
Ein solches Pathos von Askese und Märtyrertum ist Trumps Sache bekanntlich nicht. Ohnehin verkündet er keine Ideologie, er personifiziert sie. In der Rollenverteilung seiner Bewegung gibt es Nebendarsteller für Militarismus, J. D. Vance etwa, dessen gemütliche Etappenzeit als Offizier im Irak ex post zu heroischem Soldatentum aufgeblasen wurde. Der Präsident selbst repräsentiert hingegen, analytisch betrachtet, eher jenes rechtslibertäre Denken, für das der kapitalistische Tycoon die höchste Form des Menschseins darstellt. Dem Typus entsprechen ebenfalls Musk und Milei. Die Zurschaustellung von Prunk und Glitzer in Golfclub und Trumptower weist den Milliardär als verheißungsvollen Antipolitiker aus, der, während die Elite in Washington das Land verraten habe, erfolgreich getan hat, worauf es ankommt: Geld zu vermehren. Die Früchte des Wohlstandes zu genießen, erscheint als legitime Einlösung des American Dream, darf nur nicht auf Kosten von Volksnähe gehen. Aktionen wie die seinerzeitige Ausstaffierung des Weißen Hauses mit Hamburgern und Pommes frites zeigen: Ich bin einer von euch, denn ich kaufe mir nur die jeweils teuersten Exemplare dessen, was auch Average-Joe gefällt. Mein Steak mag aus Tokio eingeflogen sein, doch es ist Fleisch von eurem Fleisch. Die Ellenbogen, die es zum Erwerb solchen märchenhaften Reichtums braucht, gereichen ihm zur Ehre, hochgradig funktional folglich jenes Gangster-Gehabe, von welchem sich das europäisch-akademische Publikum abgestoßen fühlt: Seine Fans suhlen sich darin, im stolz vorgetragenen Gestus der Kaltschnäuzigkeit werden die sadomasochistischen Sehnsüchte jener bedient, die es ihrer Konkurrenz auch einmal gerne so richtig zeigen würden. Darin trifft sich der libertäre Kult des kapitalistischen Übermenschen dann wieder mit dem reaktionären Führerprinzip der Neurechten. Humanität ist beiden nichts als Schwäche.
Handelskrieg und Krise
Der früh ausgerufene Zollkrieg bricht demonstrativ mit jeglichen Freihandelsidealen, die bislang in republikanischen Kreisen zumindest per Lippenbekenntnis verfochten wurden. Im Außenverhältnis (und sowieso gegenüber inneren Feinden) wird der Libertäre geständig und offenbart seine Liebe zum starken Staat. Die Abhängigkeit der Welt von amerikanischen Märkten – nicht zuletzt auf dem Feld von Finanzen und Währung – wird in die Waagschale geworfen, um sämtliche Ungleichgewichte im Handel, nach reiner Lehre eigentlich Resultate ehrlichen „Wettbewerbs“, gegnerischer Ranküne zuzurechnen und mit aller staatlichen Gewalt zu korrigieren. Die prompt folgenden Turbulenzen waren im politischen Kalkül als vorübergehender heilsamer Schock eingepreist, zurückgerudert werden musste dennoch. Hoffnungsfroh wurde daraufhin geunkt, mit den fallenden Aktienkursen und der Unruhe an den Börsen habe sich Trump sein frühes politisches Grab geschaufelt. Aus verständlichem, doch fragwürdigem Motiv heraus – Zweckoptimismus – wird eine altbekannte Einsicht vergessen: Faschistische Bewegungen gedeihen gerade in Krisenzeiten. Konnte Mussolini vom Chaos der Nachkriegszeit zehren, so fiel Hitler die Weltwirtschaftskrise von 1929 in den Schoß und gab seiner Partei in Wahlen kräftigen Rückenwind. Selbst wenn Trumps handelspolitische Vorstöße trotz ihrer teilweisen Abschwächung also zu einer Rezession führen, wie es momentan prophezeit wird, muss dies nicht zu seinem Nachteil sein – im Gegenteil. Er könnte sich den Nährboden für seine „Machtergreifung“ selbst geschaffen haben.
Ausblick
Derzeit eingebrochene Umfragewerte schüren die Erwartung von Niederlagen Trumps in den Midterms. Das setzt freilich deren ungestörte Durchführung voraus, die er versuchen wird, mit allen Mitteln zu unterminieren.
Unliebsame Oppositionelle unter konstruierten Vorwürfen ins Gefängnis abzuschieben, ist eine bewährte Methode des Autoritarismus, die Putin und Erdogan zur Perfektion getrieben haben.
Man denke an die Inhaftierung des Bürgermeisters von Istanbul. Zweifellos wird Trump ebenfalls auf solche Mittel zurückgreifen, wenn sein Zugriff auf den Staatsapparat unter Umgehung rechtlicher Kautelen es zulässt. Präzedenzlos wäre das keineswegs, schließlich ist das FBI unter Hoover in den Sechzigerjahren im Rahmen verdeckter Aktionen gegen die schwarze Bürgerrechtsbewegung auch vor tödlicher Gewalt nicht zurückgeschreckt, und mit Watergate hat man sich im Weißen Haus an den großen politischen Gegner herangetraut. Der Putsch wird sich also nicht von selbst erledigen. Ein nächster Sturm aufs Kapitol würde viel besser organisiert sein als der alte. Es hängt alles an der amerikanischen Bevölkerung. Und an der Frage, ob der Rest der Welt sich in Appeasement übt.