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Schwerpunkt

Aktionismus von oben

„Schulen im Abitur“ – ein Beitrag zur Qualitätsverbesserung in der Sek II?

Foto: privat

Das diesjährige Abitur an der gymnasialen Oberstufe des Schulzentrums Carl von Ossietzky (CvO GyO) wurde intensiv durch die Schulaufsicht begleitet. Das Projekt mit dem Namen „Schulen im Abitur“ versteht sich hierbei als Beratungsinstrument zur Steigerung der Qualität des Abiturs im Land Bremen. Ob das Projekt hierzu tatsächlich geeignet ist, ist allerdings fraglich. Es mehren sich die Anzeichen dafür, dass dieses Projekt in Zielrichtung und Methodik keineswegs wohlüberlegt, sondern bestenfalls blinder Aktionismus und schlimmstenfalls eine institutionalisierte Form des Abweisens von politischer Verantwortung ist.

Überhasteter Start – wer braucht schon Kriterien?

Keinen Gefallen hat sich die Schulaufsicht damit getan, dass das Projekt „Schulen im Abitur“ bereits überhastet begonnen wurde. Zwar wurde das Projekt mündlich angekündigt und versichert, es handele sich lediglich um ein Beratungsinstrument. Vor dem Hintergrund damit begründeter weiterreichender Einsichtnahme durch die Schulaufsicht in die Unterrichts- und Bewertungstätigkeit der betroffenen Kolleg:innen (Hospitationen, Durchsicht von Kursbüchern, geschriebenen Klausuren, Überprüfung der Entwürfe der mündlichen Prüfungen, Gutachten der Abiturklausuren) konnte dieser Hinweis dennoch nicht beruhigen, zumal das Projekt ansonsten völlig intransparent blieb. Kriterien der Untersuchung konnten weder vor noch während weiter Strecken der Untersuchung offengelegt werden, weil diese „noch in Arbeit“ seien. Die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer Untersuchung, die ihre Kriterien nicht kennt, konnte nicht zufriedenstellend beantwortet werden. Durch diese Gemengelage sorgte die Untersuchung für deutliche Unruhe im Kollegium. Sie zeugte damit gleichzeitig von mangelndem Gespür für die generelle Arbeitsbelastung - erst recht während der Pandemie und der damit einhergehenden Digitalisierung. Immerhin konnte noch erwirkt werden, dass das Projekt durch den Personalausschuss begleitet wurde.

Vorläufige Projektbeschreibung

Im Nachhinein schreibt sich das Projekt nun in einem Entwurf eine „Stärkung der Professionalität“, „der Rechtssicherheit/Rechtskonformität“ und der „Wahrung gleicher Bewertungsmaßstäbe“ auf die Fahnen und will damit insgesamt zur Qualitätsentwicklung beitragen. Hierzu zieht die Schulaufsicht den Prüfungsvorsitz der betroffenen Schule für den jeweiligen Durchgang an sich und bindet auch die Referent:innen aus dem Referat 20 in die Überprüfung mit ein. Eine Referent:in sowie ein oder mehrere Fachberater:innen „begleiten“ die Schule nun das ganze Schul- und Prüfungsjahr hindurch. Welche Schule jeweils überprüft wird, wird einerseits durch ein Rotationsverfahren bestimmt, andererseits durch weitere Kriterien wie z.B. die Rückmeldung von Fachberatenden, den Einsatz einer neuen Schulleitung oder sonstige im Einzelfall zu nennende Probleme oder Gründe. Letztlich kann und wird so nach und nach jede gymnasiale Oberstufe an allgemeinen und beruflichen Schulen in die Qualitätssicherung eingebunden und pro Jahr sollen es drei Schulen sein. Statt einer reinen Aufsicht räumt man sich im Problemfall auch die Kompetenz zur Intervention in Fragen der Begutachtung von Abiturklausuren oder dem Umgang mit Täuschungsversuchen ein. Am Ende der Begutachtung durch die Schulaufsicht steht dann ein Feedback samt verbindlicher Hinweise zur Umsetzung für zukünftige Abiturdurchgänge.

Dem Flurfunk nach wurden wir unverhofft zum Anwärter des Pilotprojekts, da die Ergebnisse des letzten Abiturdurchgangs vor Ausbruch der Pandemie unterdurchschnittlich schwach waren – und zwar in den Fächern Mathematik, Biologie und Chemie. Diese Fächer wurden daher auch eingehend untersucht. Dabei zeigt sich allerdings in der Auswertung des Projekts dessen zentrale Schwäche: Es wird davon ausgegangen, dass die Probleme innerhalb der einzelnen Schule selbst zu lösen sind.

Tatsächliche Probleme werden benannt

So wurde z.B. für das Fach Biologie an der CvO GyO abschließend festgestellt, dass Bewertungen fair und transparent vorgenommen wurden. Gleichzeitig wurde das zugrundeliegende Problem ins Feedback mit aufgenommen, dass die Ausgangsvoraussetzungen unserer Schülerschaft in der E-Phase äußerst heterogen sind. So stehen die Lehrkräfte hier dauerhaft unter dem im Feedback auch so beschriebenen Druck, den Bildungsplan umzusetzen und gleichzeitig vorher entstandene Lücken zu schließen. Wenn nun aber die Empfehlungen im Wesentlichen dahin gehen, den Austausch innerhalb des Kollegiums zu intensivieren, zusätzliche Vergleichsarbeiten schreiben zu lassen oder unser Curriculum zu überarbeiten, wird strukturell überhaupt nichts entscheidend verändert.

Verantwortung wird abgewälzt

Weder wird erkennbar die Frage aufgeworfen, wie in Zukunft sichergestellt werden kann, in der uns vorgeschalteten Sek I die Bildungsstandards in der Breite zu erreichen, die Voraussetzung dafür wären, um in der uns gegebenen Zeit der gymnasialen Oberstufe allen Schüler:innen eine faire Chance auf das Bestehen des Abiturs zu ermöglichen, noch werden uns zusätzliche Zeit oder andere Ressourcen eingeräumt, um vorher entstandene Lücken zu schließen. Eine dritte Option, die auch nicht diskutiert wird, wäre das völlige Abstandnehmen von Bildungsstandards, die offenbar von einer signifikanten Anzahl von Durchläufer:innen durch das Bremerhavener Schulsystem trotz formal passender Zugangsberechtigung nicht erreicht werden können. So werden wir Kolleg:innen und unsere Schülerschaft mit dem Problem letztlich alleingelassen -  und zwar dem Anschein nach im vollen Bewusstsein des Drucks, der damit einhergehend auf uns lastet. Gleichzeitig wirkt es so, als wolle sich die Schulaufsicht durch den Kontrollvorgang des Projekts „Schulen im Abitur“ der Verantwortung entziehen, indem strukturelle Probleme des Bremerhavener Schulsystems zu einem vor Ort in der einzelnen Schule zu lösenden Problem erklärt werden. Wirkliche Qualitätssicherung sähe anders aus