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70 Jahre GEW | 190 Jahre Bremer Lehrervereine | Teil 8

Die Gründung der GEW und ihre Entwicklung bis 1957

Im Mai 1945 war Bremen – wie ganz Deutschland – am Tiefpunkt. Inmitten von Trümmern begann am 10. September der Unterricht in den Volksschulen. Von 150 Gebäuden waren 48 völlig zerstört und 72 mehr oder weniger stark beschädigt. Viele Familien hausten in Kellern und Behelfsunterkünften, viele Väter waren noch in Kriegsgefangenschaft. Im Januar 1946 galten 60% aller Kinder als unterernährt. Ab März 1946 gab es für sie die Schulspeisung. Von 1410 Lehrkräften wurden 783 bis März 1946 im Rahmen der Entnazifizierung entlassen, sodass akuter Lehrermangel bestand. Der Unterricht musste in den wenigen nicht zerstörten Schulen im Zwei- oder sogar im Drei-Schicht-Betrieb stattfinden. Die Kinder und Jugendlichen standen noch unter dem Einfluss der NS-Erziehung in HJ, BDM und Jungvolk. Neue Lehr- und Lernmittel gab es zunächst nicht.

Die Gründung des Vereins Bremer Lehrer und Lehrerinnen

Unter diesen deprimierenden Bedingungen machte sich eine kleine Gruppe von ca. 30 „unbelasteten“ Lehrkräften daran, Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Viele davon kamen aus den 1933 abgeschafften Versuchsschulen. Ein Teil hatte damals Berufsverbot erhalten. Christian Paulmann, bis 1933 Bürgerschaftsabgeordneter der SPD, wurde von der amerikanischen Militärregierung als Bildungssenator eingesetzt. Die ehemaligen Schulleiter der Helgolander und Stader Straße, Friedrich Aevermann und Klaus Böttcher, wurden zu Schulräten. Paul Goosmann, und Hans Warninghoff, zwei ehemalige Junglehrer an der Helgolander Straße, ergriff die Initiative zur Wiedergründung des Lehrervereins. Sie sammelten Unterschriften von Lehrerinnen und Lehrern und luden für den 03. Juni 1946 zu einer Versammlung im Concordia-Theater ein. Von Beginn an verfolgten sie das Ziel, die Trennung von Lehrer- und Lehrerinnenverein zu überwinden und die Lehrkräfte der höheren Schulen einzubeziehen. Die Versammlung, auf der auch Bildungssenator Paulmann sprach, setzte einen Arbeitsausschuss ein, der die Gründungsversammlung am 12. Juli im Hörsaal der Kunsthalle vorbereitete. Dort beschlossen ca. 130 Lehrkräfte die Gründung des „Vereins Bremer Lehrer und Lehrerinnen“ (VBLL). Anschließend wurde bei der Militärregierung die Genehmigung beantragt, die im Dezember erfolgte. Schon auf der Concordia-Versammlung war als neues Organisationsprinzip die Einrichtung von Fachgruppen eingeplant worden. Damit sollte der Gefahr einer Wiedergründung berufsständischer Konkurrenzverbände vorgebeugt werden. Entscheidend war dabei das Einverständnis der Lehrkräfte der höheren Schulen, die sich am 18. September 1946 trafen und nach kontroverser Diskussion den Eintritt in den VBLL empfahlen. Die erste Hauptversammlung am 09. Oktober 1946 wählte den Vorstand, bestehend aus Lehrerinnen und Lehrern aller Schularten. Vorsitzender wurde Paul Goosmann.

Der Eintritt in den Deutschen Gewerkschaftsbund

Etwa gleichzeitig mit der Bremer Organisation hatten sich die „Gesellschaft der Freunde des vaterländischen Schul- und Erziehungswesens“ (der alte Hamburger Lehrerverein) und der „Gesamtverband Braunschweigischer Lehrer“ neu gegründet. Deren Vorsitzende Max Traeger und Heinrich Rodenstein luden im Oktober 1946 zu einem Treffen der örtlichen Verbände in der britischen Zone ein, an dem auch Paul Goosmann als Vertreter der amerikanischen Enklave Bremen teilnahm. Hier wurde vereinbart, einen Gesamtverband der Lehrkräfte und dessen Anbindung an die freien Gewerkschaften anzustreben. Es wurden Hauptausschüsse gebildet und Bremen übernahm dabei den Erziehungswissenschaftlichen Ausschuss. Die Frauen verzichteten auf eine eigene Vereinsgründung unter der Bedingung, dass ihnen eine Mindestzahl von Mandaten im Vorstand zugesichert wurde. Auf der folgenden Gründungsversammlung des „Allgemeinen Deutschen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes“ (ADLLV) am 09./10. Januar 1947 in Detmold wurde die Aufnahme von Verhandlungen mit den Gewerkschaften beschlossen. Bedingungen des Beitritts waren Finanzautonomie und eigene Vorstandswahl, schulpolitische Eigenständigkeit und ein Bekenntnis des Gewerkschaftsbundes zum Beamtenstatus. Diese letzte – aus heutiger Sicht konservative – Bedingung entsprach dem Mehrheitswillen der Lehrkräfte, die auf die „wohlerworbenen Rechte der Beamtenschaft“ nicht verzichten wollten und eine von den Besatzungsmächten erwogene Einbeziehung der Beamten in die allgemeine Sozialversicherung ablehnten. Nachdem der Gewerkschaftsbund diese Bedingungen anerkannt hatte, wurde auf der Vertreterversammlung des ADLLV in Dortmund am 21. Mai 1948 der Beitritt beschlossen. Die neue Bezeichnung „Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft“ galt zunächst nur für die britische Zone. Erst später kamen die Vereine aus der amerikanischen und französischen Zone hinzu. Die örtlichen Lehrervereine, die dem ADLLV angehörten, schlossen sich nach und nach zu GEW-Landesverbänden zusammen. In Bremen wurde der Landesverband, bestehend aus dem VBLL, dem Bremerhavener Lehrerverein und dem Lehrerverein Bremen-Vegesack, am 19. April 1950 gegründet.

Trotz der Zugeständnisse des DGB in Fragen des Berufsbeamtentums gelang es nicht, in Westdeutschland eine gemeinsame Organisation aller abhängig Beschäftigten zu schaffen. Neben dem DGB entstand der Beamtenbund, dem sich eine Minderheit der Lehrkräfte, insbesondere aus den höheren Schulen, anschloss. In Bremen wurde der Philologenverband 1951 wieder gegründet

Die Schulreform von 1949 – der Streit um die sechsjährige Grundschule

Auch wenn in den ersten Jahren nach dem Krieg materielle Not und Entnazifizierung die vordringlichsten Fragen waren, die die Lehrkräfte beschäftigten, so begann doch sehr früh eine Debatte um die zukünftige Schulreform. Initiatoren waren die US-Administration und die Reformpädagog*innen, die den Krieg überlebt hatten und nun in der Bildungsbehörde und im VBLL-Vorstand stark vertreten waren. Bereits im Winter 1945/46 legte die Behörde einen Lehrplanentwurf vor, der insbesondere auf neue historisch-politische Inhalte Wert legte. Klaus Böttcher entwickelte ein Konzept für das „Pädagogische Seminar“, das dringend benötigte junge Lehrkräfte ausbilden sollte. Ab Herbst 1947 lieferte das „Curriculum and Textbook Center“ neue Lehr- und Lernmittel.

Im Januar 1947 hatte die US-Militärregierung Grundsätze zur Demokratisierung des deutschen Bildungswesens herausgegeben, in denen gefordert wurde: „Volksschule und Höhere Schule sollen zwei aufeinanderfolgende Stufen sein und nicht zwei verschiedene Arten oder Gütegrade der Erziehung.“ In Anlehnung daran sandte der Vorstand des VBLL anlässlich der Beratungen über die Bremer Landesverfassung den Parteien 1947 seine „Schulforderungen“. Darin bekannte er sich zur „demokratischen Einheitsschule“ und wandte sich gegen konfessionelle Schulen. Die „Education Division“ der Militärverwaltung, die Bildungsbehörde und der VBLL einigten sich auf die sechsjährige Grundschule als ersten Schritt zu einem demokratischen, nicht ständisch gegliederten Schulwesen. Dies war in der Mitgliedschaft des VBLL umstritten. Im März 1948 fand in den Kollegien eine Urabstimmung zu der Frage statt: „Soll Ostern 1948 die sechsjährige Grundschule eingeführt werden?“ Von 1282 abgegebenen Stimmen erklärten sich 465 mit Ja und 817 mit Nein. Der VBLL hatte zu diesem Zeitpunkt 867 Mitglieder. Ein Teil der Nein-Stimmen richtete sich nur gegen den frühen Zeitpunkt, ein Teil jedoch lehnte die Reform ab. Im April 1949 trat das neue Schulgesetz in Kraft. Nach der sechsjährigen Grundschule sah es die „Volksoberschule“ vor, hinter deren „Zweigen“ sich die alten Schularten verbargen (Zweig A: Volksschule; Zweig B: Mittelschule; Zweig C: Wirtschaftsoberschule; Zweig D: Gymnasium).

Die Umsetzung der Schulreform erfolgte unter widrigen Bedingungen. Es fehlte immer noch an Lehrkräften und Räumen. Bis weit in die 50er Jahre gab es Schichtunterricht und hohe Klassenfrequenzen. CDU, FDP, der konservative „Elternbund“ und der Beamtenbund forderten bereits im Bürgerschaftswahlkampf 1951 die Rückkehr zum „bewährten“ Modell. Erschwerend kam hinzu, dass in Hamburg und Schleswig-Holstein die sechsjährige Grundschule wieder abgeschafft wurde. 1954 setzte die Bremische Bürgerschaft einen „Grundschulausschuss“ ein. Dessen Mehrheit empfahl, für Kinder mit „früh erkennbarer theoretischer Begabung“ nach der vierten Klasse den Weg in das Gymnasium zu ebnen. 1957 wurde das Schulgesetz entsprechend novelliert. Schon wenige Jahre später war diese „Ausnahme“ zur Regel geworden.

Während der gesamten Auseinandersetzung war die Situation im VBLL durch unterschiedliche, zum Teil gegensätzliche Auffassungen geprägt. So kam es zu keiner eindeutigen Stellungnahme für die sechsjährige Grundschule.

Der Kampf um Gehalt und Arbeitszeit

Die Gehälter der Beamten waren schon am Ende der Weimarer Republik durch die Brüningschen Notverordnungen abgesenkt worden. Durch eine Reichsbesoldungsordnung von 1937 waren die Lehrergehälter in Bremen (durch die Angleichung an Preußen) noch einmal um über 30% gekürzt worden. An diesem Zustand hatte sich nach dem Kriege nichts geändert. 1951 rechnete die (in diesem Jahr wieder neu erscheinende) BLZ vor, dass ein Junglehrer weniger verdiente, als ein ungelernter Arbeiter (271 DM gegenüber 341 DM). Ende 1952 führte Hamburg eine besondere „L-Besoldung“ ein, um dem Lehrkräftemangel zu begegnen. Der VBLL forderte eine Übernahme durch Bremen. Die Bürgerschaft beschloss schließlich 1953, die Besoldungsregelungen von 1931 wieder in Kraft zu setzen und durch die Möglichkeit von Sonderzulagen die Gehälter der Lehrkräfte zu erhöhen.

Auf diesen Teilerfolg folgte im direkten Anschluss eine Provokation: Der Haushaltsausschuss schlug vor, die gestiegenen Gehaltskosten durch eine Pflichtstundenerhöhung zu kompensieren, und die große Koalition aus SPD, CDU und FDP machte sich zum 01. April 1954 diesen Vorschlag zu eigen. Die Lehrkräfte hatten dadurch an Volksschulen 30, an höheren Schulen 26 Pflichtstunden. Am 16. Juni beschloss eine Hauptversammlung des VBLL mit über 1000 Teilnehmer*innen als Antwort darauf, jegliche freiwillige außerunterrichtliche Tätigkeit einzustellen. Dies betraf Ausflüge, Schulfeste, Klassenfahrten, Hausbesuche, Fortbildungskurse und statistische Erhebungen. Zwar drohte der Senator mit Dienstanweisungen, aber bereits am 10. September beschloss die Koalition, die Pflichtstundenerhöhung zum 01. April 1955 wieder zurückzunehmen. Das erhebliche Aufsehen, dass der Beschluss der Lehrkräfte erregt hatte, hatte seine Wirkung nicht verfehlt.

Aus den Quellen:

Satzungsentwurf des Vereins Bremer Lehrer und Lehrerinnen vom 22. Mai 1946, Präambel:

"Seit 1933 hat die bremische Lehrerschaft keine Möglichkeit gehabt, ihren Willen zum Auf- und Ausbau des Schulwesens und ihre Pläne für die Neugestaltung der Erziehung zum Ausdruck zu bringen. In den vergangenen 12 Jahren der geistigen Unterdrückung und Bevormundung für Schule und Lehrerschaft wurden die Lehrer und Erzieher planmäßig gehindert, an der Hebung und Bildung ihres Standes zu arbeiten. Die Berufsorganisation diente fast ausschließlich dazu, die Lehrerschaft zum blinden Gehorsam gegenüber den Ansprüchen der NSDAP zu zwingen. Dieser unwürdige Zustand soll beendet werden durch den Zusammenschluss aller bremischer Lehrer und Erzieher zu freier gemeinsamer Arbeit. Sie soll der Anfang sein, den früheren, aus ernsthafter und verantwortungsfreudiger Arbeit erwachsenen Ruf der bremischen Schul- und Erziehungsarbeit wiederzuerringen.  Diese neue gemeinsame Arbeit fordert von der Lehrerschaft tätigen Anteil an der Beseitigung des Nationalsozialismus und Militarismus sowie ihrer zerstörerischen Wirkungen vor allem auf dem Gebiete des Erziehungswesens und des gesamten Kulturlebens."

Fernschreiben der US-Militärregierung vom 08. Januar 1947:

"Die Erziehungsziele sollen der Aneignung demokratischer Lebensformen durch besondere Betonung der gesellschaftskundlichen Unterweisung in allen Schulen einschließen.

Allgemeine Schulpflicht vom 6. - 15. Lebensjahr.

Pflichtmäßiger Schulbesuch neben der Berufsausbildung vom 15. bis 18. Lebensjahr.

 

Die Schulen sollen ein umfassendes Schulsystem für alle Kinder bilden. Parallele Bildungswege und Überschneidungen verschiedener Schularten sind zu beseitigen. Volksschule und Höhere Schule sollen zwei aufeinanderfolgende Stufen sein und nicht zwei verschiedenen Arten oder Gütegrade der Erziehung.

Kindergärten sollen da, wo sie nötig sind, dem allgemeinen Schulsystem angegliedert werden.

Weitmöglichste Zusammenlegung aller ungegliederten Schulen zu mehrklassigen Systemen. Alle Schulen für das 7. - 12. Schuljahr sind als Höhere Schulen anzusehen.

Höhere Schulen größeren Umfanges haben berufsschulmäßige und wissenschaftliche Züge zu umfassen.

Der pflichtmäßige Schulunterricht neben der Berufsausbildung hat in angemessenem Umfange allgemeinbildende wie auch berufskundliche Fächer zu umfassen.

 

Einheitliche Mindestgrundsätze für die Erziehung:

Schulärztliche Überwachung und gesundheitliche Erziehung sind rechtlich bindend anzuordnen.

Lehrerausbildung muss auf Höherer Schule aufbauen und ist den erziehungswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten oder gleichwertigen Bildungseinrichtungen zu übertragen.

Gehaltssätze müssen dem Ausbildungsgang entsprechen.

Die gemeinden sollen aktiven Anteil an der Schulverwaltung nehmen.

Alle (Schulen) sind durch allgemeine Steuern zu unterhalten.

Die Schulverwaltung und Aufsicht aller Schulen wird nur durch zwei Instanzen ausgeübt, durch die Länder und Kreise.

Private Schulen sind zuzulassen, soweit sie den grundsätzlichen Zielsetzungen nicht entgegenstehen."