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70 Jahre GEW - 190 Jahre Bremer Lehrervereine, Teil 6:

Unvollendete Reformen - Die Schulpolitik des Bremischen Lehrervereins in der Weimarer Republik

Teilerfolge nach der Novemberrevolution
Programmatische Ziele des Bremischen Lehrervereins waren vor dem Krieg die „Einheitsschule“, die „unentgeltliche Schule“, die „weltliche Schule“ und die „Arbeitsschule“ gewesen. Die Gesetzgebung nach 1918 machte gegenüber diesen Forderungen einige Zugeständnisse. Im Einklang mit der neuen Reichsverfassung wurden die privaten Vorschulen des Gymnasiums abgeschafft und es entstand die gemeinsame vierjährige Grundschule. Der BLV hatte sechs gemeinsame Jahre gefordert. Das Schulgeld für die „entgeltlichen Volksschulen“ wurde abgeschafft. Dagegen blieb die Trennung gegenüber den schulgeldpflichtigen höheren Schulen erhalten. Auf Initiative eines Kreises von reformpädagogischen BLV-Mitgliedern unter Leitung von H. Scharrelmann wurde eine „Versuchsschule“ an der Schleswiger Straße eingerichtet, in der die Prinzipien der Arbeitsschule erprobt werden sollten.

Unterrichtsreformen
Da in vielen Volksschulen noch Unterrichtsmethoden aus der Kaiserzeit vorherrschten, gab es für die Arbeitsgemeinschaften im BLV viele Aufgaben. Eine der vordringlichsten war die Reform des Unterrichts in der Grundschule. So wurde eine erfolgreiche Kampagne zur Übernahme der Gansberg-Fibel gestartet, die der im letzten Jahrhundert konzipierten „Fibel der Bücherkommission“ weit überlegen war, da sie auf einer Methoden-Integration basierte und durch ihren Großstadtbezug die Phantasie der Kinder anregte. Die Arbeitsgemeinschaft für Schreiben entwickelte Alternativen zur deutschen Schreibschrift. A. Gerlach propagierte in der BLZ einen neuen elementaren Rechenunterricht. 1926 kam ein neuer Grundschul-Lehrplan heraus, der auf Initiativen aus dem BLV fußte.
Die Geschichts-Arbeitsgemeinschaft unter Leitung von F. Walburg brachte die umfangreiche Heftreihe „Geschichte in Erzählungen“ heraus, die als Alternative zur kaiserzeitlichen Aufzählung von Herrschernamen und Schlachten wirken sollte.

Viele Debatten gab es über den Religionsunterricht, da die Abschaffung durch den Arbeiter- und Soldatenrat im November 1920 durch eine Entscheidung des Reichsgerichts kassiert wurde. Immerhin wurde den Lehrkräften fortan freigestellt, das Fach zu unterrichten. Auch SchülerInnen konnten sich abmelden. Die von Anhängern des Göttinger Philosophen L. Nelson vertretene Forderung nach einem Boykott konnte sich nicht durchsetzen. Fortan wurde der Religionsunterricht als nicht konfessionell gebundener Unterricht in biblischer Geschichte erteilt. Nach 1945 wurde diese Regelung als „Bremer Klausel“ in das Grundgesetz übernommen.

Die Rolle der Versuchsschulen
Die mit hohem Einsatz aufgebaute Versuchsschule an der Schleswiger Straße spaltete sich aufgrund pädagogischer Differenzen und des autoritären Leitungsstils von H. Scharrelmann. Es entstanden zwei weitere Versuchsschulen an der Helgolander und Stader Straße. An diesen beiden Standorten, an denen auch Kinder aus anderen Schulbezirken angemeldet werden konnten, wurden exemplarisch neue Formen des Unterrichts und des Schullebens entwickelt. Es gab Projektunterricht, Lehrberichte statt Noten, Schulzeitungen und Aufenthalte in den neuen, mit Elternhilfe aufgebauten Landheimen in Ristedt und Cluvenhagen. Hier wurden zukunftsweisende Konzepte entwickelt, an die nach dem zweiten Weltkrieg angeknüpft werden konnte. Trotzdem gab es zuweilen im BLV Debatten über eine zu starke Konzentration auf einige wenige Schulen und es wurden mehr Reforminitiativen in der Breite für alle Schulen gefordert.

Titelblatt des ersten Heftes der BLZ. Hier wurden ab Sommer 1922 die pädagogischen und schulpolitischen Grundsätze des BLV entwickelt. Die Vereins-Zeitschrift erschien bis 1933. Dann löste sich die Redaktion auf, um einem Verbot zuvor zu kommen. Seit 1951 erscheint sie wieder als Mitgliederzeitschrift der GEW. Daher im Impressum die Zählung 66. (78.) Jahrgang. Quelle: Staats- und Universitätsbibliothek Bremen

Aus- und Fortbildung
Ein wichtiges Thema wurde in der Mitte der 20er Jahre die Lehrerausbildung. Preußen hatte dafür pädagogische Akademien gegründet, in anderen Ländern wurde die Ausbildung an der Universität eingeführt. Der BLV setzte sich für die Universitätsausbildung in Hamburg ein, die 1926 auch realisiert wurde. Das Lehrerseminar an der Hamburger Straße wurde zur „Aufbauschule“, an der Absolventen der Volksschule das Abitur erreichen konnten.

Die Lehrerfortbildung war traditionell ein elementarer Bestandteil der Vereinsarbeit. 1928 gelang es, hierfür einen staatlichen Zuschuss zu erhalten. Ab 1929 übernahm der Staat die ersten Fortbildungen, wobei die Lehrerverbände über Themen und Referenten die Mitbestimmung hatten.

Von der Weltwirtschaftskrise zur Nazi-Diktatur
1929 verschärfte sich das innenpolitische Klima auch in Bremen. Auf den Einbruch der Wirtschaft und die Reparationsschulden reagierte der Staat mit Gehaltsabbau. Es mehrten sich die Protestkundgebungen, die ohne Wirkung blieben. In dieser Phase der Erfolglosigkeit brach im BLV ein Streit über die weitere Strategie aus, der sich als Debatte über das Verhältnis von Politik und Pädagogik entwickelte. Die kommunistisch orientierten Mitglieder forderten eindeutigere Stellungnahmen in der Schulpolitik, die Vorstandsmehrheit lehnte eine politische Verengung ab und immer mehr Mitglieder blieben in dieser Debatte den Versammlungen fern. Die Krise verschärfte sich, als durch den Zusammenbruch der Beamtenbank die Ersparnisse vieler Mitglieder und auch das Vermögen des BLV verlorengingen.

Die große Mehrheit der BLV-Mitglieder blieb zwar demokratisch, aber in großen Teilen des Kleinbürgertums gewann der Faschismus an Einfluss. 1931 wurde die Bremer Ortsgruppe des Nationalsozialistischen Lehrerbundes (NSLB) gegründet. Vorsitzender wurde der Versuchsschullehrer W. Keikemeyer, ein Vertrauter des ehemaligen Reformpädagogen H. Scharrelmann, der ebenfalls der NSDAP beitrat. Die Angriffe in der Bürgerschaft richteten sich in erster Linie gegen die Versuchsschulen an der Helgolander und Stader Straße. Nach dem Machtantritt wurden sie im März 1933 in normale Bezirksschulen zurückverwandelt. Außerdem bekämpfte die NSDAP die „undeutsche“ lateinische Reformschrift und führte 1933 die deutsche Schreibschrift wieder ein („Sütterlin“). Auch die „Geschichte in Erzählungen“ wurde 1935 verboten.

Schließlich kam im Frühjahr 1933 das Ende des freien Lehrervereins. Die neuen Machthaber begannen sofort, Berufsverbote gegen kommunistische, sozialdemokratische und sozialistische Lehrer zu verhängen. Im Verlaufe des Jahres wurden 39 Lehrer und vier Lehrerinnen aus den Schulen entfernt, darunter die Mitglieder der KPD und des Internationalen sozialistischen Kampfbundes (ISK) ohne jeden Pensionsanspruch. Die Liste der zu entlassenen Lehrkräfte war von H. Scharrelmann mitbestimmt worden. Das Kollegium der Helgolander Straße war davon besonders betroffen. In dieser Weise eingeschüchtert und bedroht, stimmte die Vereinsversammlung am 16. Mai unter persönlicher Aufsicht des Kreisamtsleiters der NSDAP, W. Kreikemeyer, dem Übertritt in den NSLB zu.