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Wahlrecht ab 16 in Bremen

Einen Bericht über das „Bremer Rathausgespräch“ zur Shell-Jugendstudie 2010 mit deren Autor Professor Albert am 21. Februar überschreibt der Weser-Kurier mit : „Die Jugend ist nicht unpolitisch …/ Junge Leute mischen die Veranstaltung mit kritischen Fragen auf“ (WK 23.02.2011) Die, in ihrem Projekt „Wählen mit 16 – Wir sind keine Idiotes "[Als „Idiotes“ wurden in der antiken attischen Demokratie die Menschen bezeichnet, die sich nicht in die öffentlichen und politischen Angelegenheiten einmischten und sich in ihr Privatleben zurückzogen. Die Arbeiten des Schulprojekts finden sich unter www.nachtderjugend....] an der GSO vorbereiteten Fragen, bezogen sich auf das Wahlrecht ab 16, zur Lage auf dem Ausbildungplatzmarkt und zur Einführung einer „Auszeit“ im Anschluss an die Schule nach skandinavischem Modell. Sie sind hier in den Kästen dokumentiert.

Die Autoren der Shell-Jugendstudie plädieren angesichts der veränderten Reifeprozesse der Jugendlichen in Deutschland entschieden für eine Absenkung des Wahlrechts auf 16 Jahre. In vielen Bundesländern gilt dies bereits für das kommunale Wahlrecht – Bremen ist das erste Bundesland, das diese Absenkung des Wahlalters auch für die Landesebene einführt. Bis auf die CDU und den ehemaligen DVU-Abgeordneten Tittmann stimmten dem alle Parteien der Bürgerschaft zu. In allen anderen Bundesländern, die dieses Jahr Landtagswahlen haben, ist das Wahlrecht ab 16 ebenfalls Thema. Beim Wahl-O-Mat von Hamburg, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sprechen sich von den in den Landesparlamenten vertretenen Parteien die SPD, Die Grünen und die Linken für die Absenkung aus, auch die Piraten und die ÖDP sind dafür. Die FDP ist teils dafür, teils dagegen und teils neutral; die CDU ist entweder dagegen oder neutral. Kurz: Die politischen Bedingungen dafür, dass dem Vorreiter Bremen andere Länder folgen, sehen gut aus. Eine wichtige Frage bei diesem Prozess wird sein, wie stark die neuen Erstwähler ihr Wahlrecht nutzen und sich in die Politik einmischen. Am 22. Mai wird Deutschland auch unter diesem Aspekt nach Bremen schauen.

Gleichzeitig wurde das Wahlrecht in Bremen mit seinen 5 Stimmen so verändert, dass die personale Zusammensetzung der Bürgerschaft nicht mehr vor allem in den Händen der Parteigremien liegt, sondern vom Wähler unmittelbar beeinflusst werden kann, indem er seine Stimmen statt der Gesamtliste den Einzelkandidaten gibt. Beide Wahlrechtsänderungen zusammen müssen für die Schulen Anlass sein, große Anstrengungen im Bereich der Demokratieerziehung und der politischen Bildung zu unternehmen. Schülerinnen und Schüler bereits ab Klasse 9 haben das Wahlrecht und tragen politische Verantwortung.
Dagegen steht die starke Politiker- und Parteienverdrossenheit gerade auch in der Jugend, die zunehmende Kompliziertheit der großen Politik, das Gefühl der Machtlosigkeit bei vielen Menschen. Resultat all dessen ist ein Trend zu sinkender Wahlbeteiligung bei Wahlen auf allen staatlichen Ebenen, der gerade bei Jungwählern besorgniserregend ist.
In dieser Situation gibt es eine Strömung unter Bremer LehrerInnen, die Schule nicht auch noch in diesem Bereich mit dem Auftrag zur Reparatur gesellschaftlicher Fehlentwicklungen belastet sehen will. Es sei mittlerweile genug. Richtig daran ist nur, dass es Schule und den LehrerInnen nicht angelastet werden darf, wenn die Politikverdrossenheit auslösenden gesellschaftlichen Ursachen z.B. bei der Wahlbeteiligung nicht hinreichend konterkariert werden können. Angesichts des Auftrags der Schule und aller LehrerInnen – nicht nur jene/r die Politik unterrichten – sind hier aber große Anstrengungen aller KollegInnen berufliche Pflicht. In § 26 der Bremer Landesverfassung heißt zum Thema Schule, Erziehung und Unterricht:

Die Erziehung und Bildung der Jugend hat im wesentlichen folgende Aufgaben:
1. Die Erziehung zu einer Gemeinschaftsgesinnung, die auf der Achtung vor der Würde jedes Menschen und auf dem Willen zu sozialer Gerechtigkeit und politischer Verantwortung beruht, zur Sachlichkeit und Duldsamkeit gegenüber den Meinungen anderer führt und zur friedlichen
Zusammenarbeit mit anderen Menschen und Völkern aufruft.“
Entsprechend heißt es in § 3,4 des Brem. Schulgesetzes, dass Schule so zu gestalten ist, dass sie „zu überlegtem persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Handeln befähigt. Grundlage hierfür sind demokratisches und nachvollziehbares Handeln...“

Tatsächlich ist es so, dass die Schulen im Lande Bremen und die Schülerinnen und Schüler große Initiativen ergreifen, um ihrer politischen Verantwortung gerecht zu werden:

  • Mit einer Ausnahme beteiligen sich alle Bremer Schulen an dem Projekt „Juniorwahl“, das über das neue Wahlrecht aufklärt und in einer schulischen Probeabstimmung mit dem Original- Stimmzettel in der Regel eine Woche vor dem Wahltermin mündet. Eine solch breite Anstrengung von Schulen hat es bisher bei keiner Wahl in Deutschland gegeben.
  • In Bremerhaven wird die Auszählung der Stimmzettel im Wesentlichen von Schülerinnen und Schülern übernommen. In Bremen beteiligen sich viele Schülerinnen und Schüler ab 16 Jahren als Wahlhelfer in den Wahllokalen und übernehmen Verantwortung. Zuletzt konnte man z.B. in Haiti und Ägypten verfolgen, wie die demokratische Kontrolle staatlicher Wahlen versagte. Dass bei der Bürgerschaftswahl in Bremen diese politische Verantwortung von Hunderten Erstwählern übernommen wird, sollte die Kritiker der Absenkung des Wahlalters auf 16 zum Nachdenken bringen.
  • Bereits bei der „Nacht der Jugend“ im November 2010 haben viele Jugendliche die Frage des Wahlalters 16 diskutiert und Position bezogen. Sie haben festgestellt, dass Bremer Schulprojekte bereits seit 1999 für diese Absenkung eintreten, dass das neue Wahlrecht in der Tat „von unten“ kommt. Sie haben die „Werderwette“ abgeschlossen und verpflichten sich damit, an ihren Schulen, in ihren Peer-groups dafür einzutreten, dass die Wahlbeteiligung der Erstwähler (16-20 Jahre) höher sein wird als die der 21-35 –Jährigen. 25 Schulklassen wollen auch mit dieser Wette ihre Mitschüler mobilisieren, zur Wahl zu gehen. (siehe: www.werderwette.de )
  • Viele dieser Klassen streben an, im Vorfeld der Bürgerschaftswahl sich über Podiumsdiskussionen an ihren Schulen mit Kandidaten und Politikern in die Politik und den Wahlkampf einzumischen. Sie bereiten Fragen zu Themen vor, die ihnen unter den Nägeln brennen. (siehe oben stehende pdf)

Ich behaupte: Eine solch breit getragene Anstrengung zur politischen Bildung hat es bisher noch bei keiner Wahl in Deutschland gegeben. Sie sollte von allen LehrerInnen des Landes unterstützt werden. Man darf darauf gespannt sein, ob sich eine solche Anstrengung von Schulen bei der Wahlbeteiligung auszahlt. Für eine Absenkung des Wahlalters auf 16 Jahre auch in anderen Ländern wäre dies sehr hilfreich.

Kontakt
Karsten Krüger
Schriftleiter des Bildungsmagaz!ns
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