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Racaille Verte

Im Januar 2007 wurde eine antirassistische Fangruppe des SV Werder Bremen von Neonazis im OstKurvenSaal des Fan-Projekts Bremen überfallen. Die Gruppe junger Werderfans feierte dort ihr einjähriges Bestehen als Racaille Verte*. [* Der französische Name „Racaille Verte“ wurde von den antirassistischen Fans mit Bedacht gewählt. Er bezieht sich auf die Aussage Sarkozys während der Migrantenaufstände in den Pariser Banlieues dieses „Racaille“, zu Deutsch Gesindel, mit dem „Kärcher“ (Hochdruckreiniger) aus ihren Vierteln zu treiben.]

Racaille Verte

Wie der Name schon sagt, versteht sich diese Fangruppe als antirassistisch und hatte in der Zeit ihres einjährigen Bestehens bereits antirassistische Aktionen durchgeführt. Damit hatte sie die Aufmerksamkeit der Bremer Nazis in der Stadt und im Besonderen beim Fußball auf sich gezogen. Und so dauerte es nicht lange, dass die engagierten Jugendlichen zunächst bedroht wurden. Diese ließen sich nicht einschüchtern und machten couragiert weiter. Dies veranlasste die Nazis sie dann bei ihrem einjährigen Jubiläum zu überfallen und zu verprügeln, wohl in der Hoffnung damit die Gruppe klein zu kriegen. Bilanz der Nacht waren zwei Schwerverletzte, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, etliche Blessuren und geschockte Jugendliche, die diesen Abend vermutlich niemals in ihrem Leben vergessen werden.
Und in der Tat war es zunächst schwierig für die Mitarbeiter zu erfahren, was in dieser Nacht geschehen war. Erst allmählich öffneten sich die Jugendlichen und waren nach einigen Wochen bereit Zeugenaussagen zu machen. Eine wichtige Vorrausetzung für sie war dabei, dass nicht nur wenige Fans aussagen, sondern möglichst alle, damit nicht Einzelne von den Nazis rausgepickt werden konnten. Das führte letztlich dazu, dass über sechzig Fans Aussagen zum Tathergang bei der Polizei machten. Nach drei Monaten war dann die Zeugenbefragung abgeschlossen und alle dachten nun kann der Prozess gegen die Nazis beginnen, doch nichts passierte. Dann endlich, nach über viereinhalb Jahren, kam die Nachricht, dass der Prozess endlich beginnen soll. Allerdings nicht, wie zuvor alle glaubten, vor dem Landgericht, sondern vor dem Bremer Amtsgericht. Das Landesgericht hatte den Prozess herabgestuft.

Der Prozess

Das mit diesem Prozess betraute Amtsgericht folgte der Annahme und damit auch den Verteidigern der Angeklagten, dass der Überfall lediglich eine Auseinandersetzung zweier verfeindeter Werder Fangruppen gewesen wäre und das Gerichtsverfahren aus „prozessökonomischen Gründen“ und „um die Fanszene zu befrieden“, so die Aussage des Gerichts, schnell abgeschlossen werden sollte. Nach der Verlesung der Anklage und der Anhörung der Rechtsanwälte zog sich dass Gericht zurück und beschloss die Zeugen nicht mehr zu vernehmen und die Angeklagten gegen die Auflage eines Geständnisses und Bußgeld zu entlassen. Allerdings hatten die Angeklagten und der Staatsanwalt noch eine Woche Zeit diesen Vorschlag zu überdenken.
Zu diesem Verfahrensauftakt hatten die sieben Angeklagten ihren Anhang mitgebracht, der sich pöbelnd und teilweise vermummt im Gerichtsgebäude ausbreitete. Journalisten, Rechtsanwälte, interessierte Werderfans und Prozessbeobachter wurden von ihnen gegen ihren Willen fotografiert. Zu keinem Zeitpunkt intervenierte das Gericht, obwohl das Geschehen auch im Zuschauerraum des Gerichtssaals stattfand. Die anwesenden Werderfans verfolgten mit Entsetzen das Geschehen und entschlossen sich noch am selben Tag eine Demo vom Tatort OstKurvenSaal zum Amtsgericht zu organisieren, um dieses Unrecht publik und ihrem Ärger Luft zu machen. Einen Tag vor dem zweiten Verhandlungstag war es dann soweit. Trotz der geringen Vorbereitungszeit kamen über 800 Menschen zur Demonstration und bekundeten damit ihre Solidarität mit den Fans.
Die Demonstration führte allerdings nicht zu einem Umdenken der Verantwortlichen. Der Staatsanwalt und die Angeklagten folgten dem Vorschlag des Gerichts. Mit nicht einem Wort erwähnte das Gericht den politisch motivierten Hintergrund der Tat. Und auch die Opfer wurden durch die Justiz in keiner Weise gewürdigt, sie hatten ja nicht einmal mehr die Möglichkeit Aussagen über den Tathergang und ihre Verletzungen zu machen, worauf sie viereinhalb Jahre gewartet hatten. Gerade für Opfer rechter Gewalt ist es wichtig, dass der politische Angriff auf sie anerkannt wird. Die Konsequenz des Verfahrens wird sein, dass Fans keine Aussagen zu ähnlichen Vorfällen mehr machen. Für die Fans ist der Glaube an die Justiz und an den Rechtsstaat sowie an den Schutz, der ihnen durch das Gesetz gewährleistet werden soll, massiv beschädigt worden.

Genauer hinschauen

Doch was ist zu tun damit sich diese Geschichte nicht noch einmal wiederholt? Immerhin wurde der Vorfall nun vom Rechtsauschuss des Bremer Parlaments behandelt und näher untersucht. Außerdem sollte bei zukünftigen ähnlichen Straftaten genau hingeschaut und der mögliche politische Hintergrund beleuchtet werden, da er von elementarer Bedeutung für die Handlungsweise rechter Gruppierungen ist. Letztlich sollte in Bremen der Opferschutz verbessert und die Opferperspektive stärker in den Mittelpunkt gerückt werden. Es bleibt abzuwarten wie diese Geschichte weiter verläuft, da drei der Verurteilten Rechtsmittel gegen das Urteil des Amtsgerichts eingelegt haben. Aber auch die Arbeit gegen Rechtsextremismus in Bremen ist wichtiger geworden. Nach dem Überfall gründete das Fan-Projekt Bremen zusammen mit Werderfans die Antidiskriminierungs-AG, die mit Kurvenshows, Flugblättern, T-Shirts, Buttons und Veranstaltungen die Fanszene zu sensibilisieren und Diskriminierung und Rechtsextremismus beim Fußball abzubauen und einzudämmen versucht.

Kontakt
Karsten Krüger
Schriftleiter des Bildungsmagaz!ns
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