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Menschen kann man mieten

Der Begriff „Leiharbeiter“ ist in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder in aller Munde. Sogenannte Leiharbeiter sind immer zuerst betroffen, wenn es einer Branche schlecht geht und Personalabbau durchgeführt wird. Trotz offensiven Marketings ist das Leiharbeitsverhältnis in vielen Bereichen immer noch diskreditiert als Arbeitsverhältnis zweiter Klasse. Die Sehnsucht, zu einer Stammbelegschaft dazuzugehören, bleibt für den Leiharbeiter meist unerfüllbar. Für viele stehen Grundrechte wie die gewerkschaftliche Organisationsmöglichkeit und die gewerkschaftliche gemeinsame Aktion nur auf dem Papier. Die Situation ist für Frauen und Männer gleich; die rechtliche und tatsächliche Situation unterscheidet sich eher branchenbezogen: In Branchen, in denen es eine große gewerkschaftliche Organisationskraft gibt, geht es auch Leiharbeitern besser.

Das Verbot weicht der Liberalisierung

1967 hat das Bundesverfassungsgericht das Arbeitsvermittlungsmonopol des Arbeitsamtes als mit dem Grundrecht der freien Berufswahl (Artikel 12 GG) nicht vereinbar erklärt. Damit war der Weg für Unternehmen frei, Arbeitnehmerüberlassung zu betreiben. Sie stellen Arbeitnehmer an und vermitteln diese zur Arbeitstätigkeit in sogenannte Entleiherbetriebe.

Juristisch ist der Begriff der Leiharbeit falsch; korrekt wäre der Begriff der Vermietung von Arbeitnehmern. Arbeitnehmerüberlassung erfolgt eben nicht unentgeltlich, wie es das Prinzip der Leihe ist. Hier hat sich gesellschaftlich ein Begriff eingeprägt, der die tatsächlichen Verhältnisse sprachlich und gefühlsmäßig beschönigt. Der Begriff „Mietarbeitnehmer“ wäre dann doch zu entlarvend für die tatsächlichen Verhältnisse.

Die Geschichte der Arbeitnehmerüberlassung (ANÜ) seit 1968 ist wechselhaft und von verschiedenen sozialpolitischen und liberalisierenden Gedanken geprägt. An der grundsätzlichen Situation hat sich seit heute nichts Erhebliches verändert. Ohne dass es jemals wissenschaftlich verlässlich nachgewiesen wurde, wird immer mal wieder die Liberalisierung der Leiharbeit als Mittel zur Verringerung der Arbeitslosigkeit beschrieben.

In diesem Rahmen werden dann die Höchstverleihdauer angehoben oder völlig beseitigt oder es werden Ausnahmeregelungen zum Gebot der gleichen Bezahlung wie im Entleihbetrieb definiert. Von dem Gebot der gleichen Bezahlung kann immer dann abgewichen werden, wenn für den Verleihbetrieb ein eigenständiger Tarifvertrag gilt. Dieser Tarifvertrag kann dann von den Tarifbedingungen im Entleihbetrieb abweichen.

Für eigenständige ANÜ-Tarifverträge gab es bislang zwei Linien: Zum einen die absolute „Billiglinie“ der sogenannten Tarifgemeinschaft der „Christlichen Gewerkschaften“. Dies hat sich mittlerweile erledigt, nachdem das Bundesarbeitsgericht deren Tarifunfähigkeit festgestellt hat. Zum anderen haben die DGB-Gewerkschaften Tarifverträge für Zeitarbeit abgeschlossen; auch diese Tarifverträge unterbieten eine Vielzahl von Branchentarifen massiv. Regulär schließen Gewerkschaften Tarifverträge für ihre Mitglieder ab. Im Bereich der Zeitarbeit ist der gewerkschaftliche Organisationsgrad aber so niedrig, dass hier schon einmal die Frage gestellt werden darf, ob tatsächlich ein Mitgliedsauftrag zum Abschluss dieser Tarifverträge gegeben ist. Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) lässt es dann eben zu, diese Tarifverträge in die Arbeitsverträge einzubeziehen mit der Folge, dass der niedrige ANÜ-Tarifvertrag und nicht der Branchentarifvertrag im Entleihbetrieb gilt.

Eine Ausnahme bei der ANÜ gilt für das Baugewerbe. Dort dürfen Arbeiter nicht verliehen werden. Hier wurde ein extrem hohes Maß an illegaler Leiharbeit festgestellt, das von den staatlichen Behörden nicht mehr kontrollierbar war. Die gesetzliche Einschränkung war die Folge.

 

Der zahnlose Tiger

Nach dem AÜG und der einschlägigen europäischen Richtlinie soll die ANÜ nur vorübergehend erfolgen. Dies entspricht - jedenfalls so, wie es der Normalverbraucher von Gesetzestexten liest - durchaus einem vernünftigen Gedanken. Es kann ja eben in bestimmten Betrieben einen vorübergehenden Arbeitskräftemehrbedarf geben, zum Beispiel bei Auftragsspitzen. „Vorübergehend“ ist jedoch bislang weder im deutschen noch im europäischen Arbeitsrecht mit einer Höchstdauer konkretisiert worden. Juristen haben dann noch die Variante erfunden, dass auch Dauerarbeitsplätze mit ANÜ’s besetzt werden können, wenn die einzelnen eingesetzten Leiharbeitnehmer dann nicht dauerhaft, sondern nur für einen begrenzten Zeitraum („vorübergehend“) tätig werden.

Das ANÜ-Unternehmen benötigt für seine Tätigkeit eine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit (BA). Die BA ist auch für Kontrollen und Überwachung zuständig und kann Bußgelder bei bestimmten Ordnungswidrigkeiten aufgrund von Pflichtverletzungen der ANÜ-Unternehmen verhängen. Geahndet werden im wesentlichen formale Fehler; die Vorschriften führen nicht zu einer substantiellen Verbesserung der Situation der ANÜ’s. Waren 2012 ca. 800.000 ANÜ’s in Deutschland beschäftigt, so stehen dem für 2016 ca. acht Millionen Euro an Bußgeld gegen die Verleihunternehmen gegenüber. Durchschnittlich kam also auf jeden überlassenen Arbeitnehmer eine Bußgeldbelastung von circa zehn Euro. Das ist betriebswirtschaftlich zu vernachlässigen.

In vielen Branchen ist es üblich geworden, dass Stammarbeitsplätze mit ANÜ’s besetzt werden. Ein Anteil von bis zu 30 Prozent an ANÜ’s an der Gesamtbelegschaft ist oft anzutreffen. Gesetzlich ist es zulässig, dass die ANÜ’s bei einem Konzernunternehmen, also zum Beispiel bei einer Tochter- oder Schwestergesellschaft angestellt sind. Sie erhalten dann die deutlich schlechteren Arbeitsbedingungen (Entgelt usw.). Die Belegschaft wird gespalten. Neueinstellungen erfolgen dann oft nur noch in dem ANÜ-Unternehmen. Diese Vorgehensweise geht durch alle Branchen und macht auch vor öffentlichen Unternehmen zum Beispiel in Bremen nicht halt. Zu verlockend ist die Möglichkeit, gleiche Arbeit für weniger Lohn zu bekommen.

Betriebsverfassungsrechtlich wurde die Situation der ANÜ’s zuletzt etwas aufgewertet. Sie haben jetzt die Möglichkeit, den Betriebsrat im Entleihunternehmen mit ihren Problemen aufzusuchen und sind nach drei Monaten Verleih sogar wahlberechtigt zum Betriebsrat des Entleihunternehmens.

 

Der Tiger bekommt Zähnchen

Bis zur nächsten Bundestagswahl soll das AÜG geändert und eine Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten eingeführt werden. Nach neun Monaten Überlassung sollen die ANÜ’s das gleiche tarifliche Entgelt wie die Stammbelegschaft bekommen. Bei verdeckter Arbeitnehmerüberlassung soll es möglich sein, dass ANÜ’s sich bei dem Entleihbetrieb einklagen. Außerdem will der Gesetzgeber schärfere Grenzen zwischen Arbeitnehmern und (Schein-)Selbstständigen einführen. Die betriebsverfassungsrechtliche Situation soll stärker unter Berücksichtigung der im Betrieb vorhandenen ANÜ’s ausgestaltet werden.

Diese Verbesserungsvorschläge werden jedoch wohl nur einen geringen Teil der ANÜ’s betreffen. Es werden aber immer noch keine Regelungen getroffen, die es wirksam verhindern, dass Stammarbeitsplätze dauerhaft mit ANÜ’s besetzt werden. Die Veränderungen treffen darüber hinaus auf eine wirtschaftliche Situation, in der es immer schwieriger wird, Stammarbeitsplätze mit Fachkräften zu besetzen und auch im Bereich der ANÜ’s sehr oft nicht mehr genügend Fachkräfte vorhanden sind. Insofern ist davon auszugehen, dass sich sowieso auch ohne diese Veränderungen im AÜG die Situation im Bereich der Stammarbeitsplätze wieder verbessern würde, da die Betriebe schlicht und einfach gute Angebote unterbreiten müssen, um gute Fachkräfte zu erhalten.

Zuletzt gab es darüber hinaus insbesondere im Bereich der IG Metall sehr gute Tarifabschlüsse, die dafür sorgten, dass die ANÜ’s in den Einsatzbetrieben sogenannte Branchenzuschläge auf den Lohn erhalten. Damit wurde sehr oft die Schere zwischen dem geringen ANÜ-Lohn und dem branchenüblichen Tariflohn weitestgehend geschlossen. Diese Initiativen entsprechen den Kräfteverhältnissen: Die Stammbelegschaften sind viel eher in der Lage, Branchenzuschläge für die ANÜ’s zu vereinbaren und damit letztendlich auch deren Lohndrückerfunktion zu beseitigen als die ANÜ’s selbst. Die Möglichkeiten der gewerkschaftlichen Organisierung für ANÜ’s sind schwierig, weil sie eben in ihrem Stammbetrieb, also dem Verleihunternehmen, gar nicht als organisierte Arbeitnehmerschaft zusammenkommen. So ist es auch zu verstehen, dass es in Verleihunternehmen deutschlandweit praktisch keine Betriebsräte gibt.

Weitere Initiativen gab es von Betriebsräten, die es geschafft haben, im Rahmen von Arbeitsgerichtsverfahren bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern Betriebsvereinbarungen abzuschließen, die die Anzahl der Leiharbeitnehmer begrenzen und diesen gegebenenfalls sogar einen Einstellungsanspruch in das Entleihunternehmen gewährleisten. Die Perspektive der Situation der LeiharbeitnehmerInnen ergibt sich insofern aus Aktionen der Gewerkschaften und Betriebsräte in den Entleihbetrieben. Hier sind Ansätze vorhanden, mittelbar die Situation der ANÜ‘s zu verbessern.