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„Mediatisierte Welten – oder:

Seit langem sind wir mit einer öffentlichen Diskussion konfrontiert, in der stets ein Medium als negativ für die Gesellschaft – und hier insbesondere für Kinder und Jugendliche – angesehen wird: Es gab einmal Zeiten, da wurde das unkontrollierte Lesen für gefährlich erachtet. Später war es das Kino und dann das Fernsehen, das vor allem für Kinder und Jugendliche problematisiert wurde (obwohl statistisch gesehen 14- bis 29-Jährige nur rund halb so viel fernsehen wie die über 50-Jährigen). Und gegenwärtig sind Computer, Internet und vor allem Computerspiele an diese Stelle gerückt. Sicherlich ist es so, dass es einzelne problematische Inhalte von Medien gibt. Dies betrifft sowohl Bücher als auch Filme, Fernsehsendungen oder Computerspiele. Was hinter solchen öffentlichen Paniken steht, in denen gerne auch einmal der Ausdruck „Sucht“ fällt – „Lesesucht“, „Kinosucht“, „Fernsehsucht“ oder „Computerspielsucht“ – ist möglicherweise jedoch etwas anderes. Dahinter steht, dass sich die Gesamtumgangsweisen mit Medien über die verschiedenen Generationen hinweg verändert haben.

Mediatisierung

Stellt man sich generell die Frage, wie sich Kultur und Gesellschaft in den letzten Jahren im Hinblick auf Medien gewandelt haben, so ist der Blick auf das einzelne Medium irreführend. Was sich geändert hat ist vielmehr, dass Medien sich insgesamt in unserem Leben verbreitet haben. Versteht man unter Medien technische Mittel der Kommunikation, ist unsere heutige Kultur und Gesellschaft umfassend „mediatisiert“. Medien stehen immer andauernder zur Verfügung. Beispielsweise sendete das Fernsehen noch vor wenigen Jahrzehnten über einen Kanal für einige Stunden am Tag. Heute können wir verschiedenste Kanäle 24h am Tag nutzen und die Testbilder des alten Sendeschlusses werden – ebenfalls stets abrufbar – als Kuriosität im Internet gesammelt. Räumlich ist es so, dass Medien nicht mehr an einzelne Orte gebunden sind, wie es bis vor kurzem noch mit dem Telefon der Fall war. Mobiltelefone oder mobile Kommunikationscomputer wie das iPhone ermöglichen es uns, von Person zu Person zu kommunizieren, wo immer man sich aufhält. Und auch sozial haben sich Medien umfassend verbreitet. Wir arbeiten nicht nur immer mehr am Computer, sondern verbringen ebenfalls die Freizeit mit ihm, wenn wir abends computerspielen, unsere digitalen Fotos sortieren oder online einkaufen. Diese Beispiele sollten deutlich machen, was in der Wissenschaft mit dem Ausdruck Mediatisierung gemeint ist:
Technische Medien haben sich umfassend durchgesetzt. Sie sind dabei jedoch nicht einfach nur neutrale Werkzeuge, sondern prägen als institutionalisierte Kommunikationsformen unser Leben mit. Wenn Politik sich beispielsweise in einem ständigen öffentlichen Diskurs des Fernsehens bewegt und von kritischen Kommentaren im Internet begleitet wird, so bedeutet dies nicht einfach nur eine Berichterstattung über politisches Geschehen, sondern verändert die Politik als solche. Auf der Basis dieser Überlegungen kann man davon sprechen, dass unsere heutige Kultur eine „Medienkultur“ ist bzw. unsere heutige Gesellschaft eine „Mediengesellschaft“. Gemeint ist damit, dass wir uns die Form von Kultur und Gesellschaft, in der wir leben, jenseits der Medien nicht vorstellen können.

Was sind "die" Medien?

Was aber „die Medien“ sind, das variiert je nach Alter und sozialem Hintergrund nicht unerheblich. Während beispielsweise für viele 40- bis 50-jährige Akademiker „die Medien“ Fernsehen, die Zeitung, einzelne WWW-Seiten wie Spiegel-Online sowie E-Mail, ein Handy, Bücher und Zeitschriften sind, haben viele Jugendliche einen andere Blick auf „die Medien“: Diese sind für sie Social-Web-Angebote wie YouTube, Facebook oder SchülerVZ, Musik über iTunes, einige Blogs, Computerspiele, das SmartPhone und E-Mail. Allein die Aufzählung dieser unterschiedlichen Medien macht deutlich, dass auch die genutzten Inhalte andere sind. Und bezieht man diese beiden Typen von Mediennutzern auf die Schule, so konkretisieren sie sich in der „mediatisierten Welt“ des Lehrers bzw. der Lehrerin einerseits und des Schülers bzw. der Schülerin andererseits.

Wechselseitiges Verständnis der Vielfalt

Was ich an dieser Stelle sagen möchte ist nicht, dass eine der „mediatiserten Welten“ besser oder schlechter wäre als die andere. Würden wir eine (Lehrer-)Generation weiter zurückgehen, so hätten wir es nochmals mit einer weiteren, deutlich unterschiedlichen Medienwelt zu tun. Worum es mir geht ist etwas anderes. Zentral erscheint mir nämlich ein wechselseitiges Verständnis der Vielfalt heutiger „mediatisierter Welten“, eine wechselseitige Anerkennung ihrer Differenz, aber auch ein übergreifender Diskurs über die Qualitäten von Medienkommunikation. Grundlegende Fragen betreffen nämlich verschiedenste „mediatisierte Welten“ und sollten entsprechend auch übergreifend gestellt werden: Was ist eine gute Unterhaltung? Dies bezieht sich sowohl auf das Fernsehen als auch Computerspiele. Wie können wir über Medien unsere Beziehungen produktiv ortsübergreifend gestalten? Dies betrifft sowohl das klassische Telefon als auch heutige Smartphones und das Social Web. Was ist ein produktiver politischer Diskurs? Hier kann es sowohl um die Zeitung wie das Blog oder das virale Politikmarketing im Internet gehen. Statt vorschnell einzelne „Mediensüchte“ zu konstatieren, ist es zielführender, ausgehend von solchen grundlegenden Fragen sich unseren heutigen „mediatisierten Welten“ anzunähern.

Der Autor:

Dr. habil. Andreas Hepp ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft am IMKI, Universität Bremen, und unterrichtet dort im Masterstudiengang Medienkultur. Er ist Mitantragsteller des Schwerpunktprogramms „Mediatisierte Welten“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft und Autor verschiedener Bücher, u.a. „Cultural Studies und Medienanalyse“ (2010) sowie „Transkulturelle Kommunikation“ (2006). Nähere Informationen:
http://www.imki.uni-bremen.de,
http://www.andreas-hepp.name/