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Literatur-Workshops als „Ehrenamt“

Ende Januar 2016 hat der Förderverein Bremer Literaturkontor e. V. eine Rundmail an seine Mitglieder verschickt und darin mitgeteilt, er suche „für Literaturworkshops in Bremer Schulen Autorinnen und Autoren, die sich vorstellen können, die Grundlagen des kreativen Schreibens ehrenamtlich an Schüler/innen weiter zu geben“. Der Ausschreibungstext im Anhang der Rundmail enthielt weitere Details. Es heißt dort: „Dabei ist ein regelmäßiger Turnus (einmal wöchentlich/14-tägig) in den jeweiligen Schulen geplant. Die Workshops erstrecken sich über ein Schulhalbjahr. Projektstart ist zu Beginn des Schuljahres 2016/17 geplant.“

Vom Verband deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller (VS) wurde dagegen Protest erhoben. Das Ansinnen des Literaturkontors sei entschieden abzulehnen. Aus Sicht des VS könne es nicht angehen, dass bremische Schriftsteller/innen als Ersatz-Lehrer/innen instrumentalisiert werden und ihre Leistungen zum Nulltarif abrufbar sind. Dies widerspreche auch der Kollegialität mit den Lehrerinnen und Lehrern, die in der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft organisiert sind. Die Mitglieder des VS wurden aufgefordert, sich für das Projekt nicht zur Verfügung zu stellen, solange es dem Literaturkontor nicht möglich ist, ein Honorar bereit zu stellen, das den Konditionen von Schullesungen entspricht.1

Dieses Beispiel ist nur eines von vielen, dass „Ehrenamtlichkeit“ vorgeschoben wird, um einerseits die angespannte Personalsituation an den Schulen zu kompensieren, d. h. keine bezahlten Fachkräfte einstellen zu müssen. Andererseits werden Schriftstellerinnen und Schriftsteller durch das Ehrenamtsangebot dazu verlockt, der ihrer gewerkschaftlichen Forderung untreu zu werden, die da lautet: “Würde hat ihren Wert, Arbeit hat ihren Preis“ (Aufschrift an der Fassade der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin).

Die Schriftstellerei ist – ebenso wie das Übersetzen von Literatur – ein Handwerk, dessen Frauen und Männer zum Großteil aus eigener Erfahrung wissen, was eine prekäre Existenz bedeutet. Eine in der Zwischenzeit nicht mehr ganz aktuelle, aber immer noch lesenswerte Studie „Zur Sozialposition und Netzwerkstruktur von Schriftstellern“2 kommt zu dem Ergebnis, dass es sich bei Autorinnen und Autoren „um eine ökonomisch, ästhetisch und sozial instabile Position handelt“. Heute hat sich die Lage der Schreibenden noch weiter verschärft, weil die immer weniger (Groß-)Verlage immer mächtiger wurden und ihre Honorare immer geringer. Zunehmend mehr (Klein-)Verlage gehen dazu über, die bei ihnen erscheinenden Bücher nur gegen Vorauszahlung von Druckkostenzuschüssen in ihr Programm aufzunehmen.

Die Forscher der erwähnten Studie unterscheiden vier Subgruppen: Elite (d. h. bekannte, meist schon etwas ältere Bestseller-Autor/inn/en, die es „geschafft“ haben), Nachwuchselite (anerkannte junge Autor/inn/en, deren Einkommen durchschnittlich zu 40 Prozent aus literarischer Tätigkeit stammt), Peripherie (Autor/inn/en, die vom Schreiben allein nicht leben können) und etablierte Peripherie (solche, die als Schreibende einigermaßen bzw. recht und schlecht über die Runden kommen; sie schreiben zu 61 Prozent Mundart- oder Unterhaltungsliteratur und beziehen durchschnittlich nur 29 Prozent ihres Einkommens aus literarischer Tätigkeit).

Bei den „armen Poeten“ der Peripherie, aber auch bei denen der Nachwuchselite und der etablierten Peripherie handelt es um den Großteil derjenigen literarisch Schreibenden, die von ihrer schriftstellerischen Tätigkeit meist nicht oder jedenfalls nicht angemessen leben können. Entweder müssen sie ihr Einkommen durch Jobs und Nebenjobs aufstocken, oder sie sind ökonomisch abhängig von Eltern, Partner/inne/n oder Freunden. Die Studie kommt zu dem Ergebnis: „Prekär könnte man die Position der Autoren der Peripherie bezeichnen. Hier befinden sich immerhin über 50 % (der in die Untersuchung einbezogenen Schriftsteller; R. B.) … Unbeachtet von der Elite, wenig vertraut miteinander und auch am geringsten gefördert von den kulturellen Institutionen, ist die ökonomische Situation dieser Autoren am schlechtesten.“3

Die massive Abhängigkeit dieser Autor/inn/en von institutioneller Förderung (Lesehonorare, bezahlte Workshops, Ausschreibungen, Preise etc.) macht sie anfällig für unhonorierte Angebote von Förderorganisationen wie dem Bremer Literaturkontor e. V.: Durch „ehrenamtliches“ Sich-Einbringen erhoffen sie sich eine Chance (wenn auch nur eine sehr geringe), als förderungswürdig erkannt und irgendwann auch anerkannt zu werden. 

 

Der Autor:

Rudolph Bauer

Mitglied im Vorstand der ver.di-Fachgruppe Literatur, Landesbezirk Niedersachsen und Bremen des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller

1

In einem Schreiben an das Literaturkontor hat sich die Bremer GEW in der Zwischenzeit mit der Forderung des VS solidarisiert. Siehe nds-bremen.verdi.de/branchen-und-berufe/medien-kunst-und-industrie/kunst-kultur-vs/++co++11618ba4-e446-11e5-bd77-525400a933ef

 

2 Jürgen Gerhards / Helmut K. Anheier: Zur Sozialposition und Netzwerkstruktur von Schriftstellern. In: Zeitschrift für Soziologie, Jg. 16. Heft 5, Okt. 1987, S.385-394

3 In einer Untersuchung über künstlerische Berufe generell kommt Michael Söndermann zu dem Ergebnis, dass 50 Prozent der Künstler/innen – also nicht nur der Schriftsteller/innen – über ein mittleres monatliches Nettoeinkommen zwischen 1.100 und 2.000 Euro verfügen (vorgetragen bei der Loccumer Tagung „Kreatives Prekariat“ am 21-23.02.2016 in der Evangelischen Akademie Loccum)