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Bildungspolitik

Die Politik verspricht das Blaue vom Himmel

Hohe Ansprüche und schlechte Ausstattung - Konsequenzen für GEW

Die öffentlich verbreiteten Anforderungen an das Bildungswesen sind hoch: Es soll auf die technologische Zukunftsentwicklung vorbereiten, es soll inklusiv sein, es soll eine breite Allgemeinbildung vermitteln. Aber Finanzierung und Struktur sind nicht geeignet, diese Ziele zu erreichen. Resultat ist ein ständig wachsender Arbeitsdruck für die PädagogInnen. Sie sollen die Lücke zwischen Anforderungen und Mängeln durch erhöhten Arbeitseinsatz schließen.

Aufgabe einer Gewerkschaft ist es, die Interessen ihrer Mitglieder zu vertreten. Um dies wirksam leisten zu können, ist es zunächst notwendig, die Ursachen für den eklatanten Widerspruch zu analysieren.

„Bildung hat höchste Priorität“ - eine zweifelhafte Botschaft

Die Interessen, die auf dem Gebiet der Bildungspolitik aufeinander treffen, sind höchst unterschiedlich:

● Die exportorientierte Wirtschaft und die ihr dienende Politik wollen vor allem eine ausreichende Anzahl verwertbarer qualifizierter Arbeitskräfte, um den technologischen Vorsprung aufrecht zu erhalten.

● Den Eigentümern großer Vermögen geht es gleichzeitig darum, möglichst wenig Steuern zu bezahlen. Darüber hinaus gibt es eine starke internationale Lobby, die öffentliche Dienste privatisieren will, um hieraus Gewinnen zu erzielen.

● Die „think-tanks“ der Bildungspolitik, die OECD und die Bertelsmann-Stiftung, dienen beiden Zielen. Sie überwachen die Bereitstellung ausreichend qualifizierter Arbeitskräfte (z.B. durch PISA) und sie pushen die Einführung von Konkurrenzmechanismen im öffentlichen Bildungsbereich, die der Privatwirtschaft entlehnt sind. Darüber hinaus propagieren sie, dass gute Bildung der beste Schutz des Individuums gegen Arbeitslosigkeit sei, und verschweigen, dass über das Ausmaß an Arbeitslosigkeit in erster Linie die Krisenzyklen des Kapitals und die herrschende Wirtschafts- und Finanzpolitik entscheiden.

● Auf der anderen Seite befürchten breite Kreise der lohnabhängigen Bevölkerung angesichts der Lage zu Recht, dass ihre Kinder ohne eine hohe Qualifikation im Wettbewerb um die zu knappen qualifizierten Arbeitsplätze in den Niedriglohnsektor oder in die Arbeitslosigkeit abgedrängt werden.

● Zwischen diesen unterschiedlichen Interessen jongliert die herrschende Bildungspolitik: Sie verspricht den Unternehmen ausreichend qualifizierte Arbeitskräfte, sie führt in der Steuerung immer mehr marktwirtschaftliche Elemente ein, sie verspricht den Lohnabhängigen und Marginalisierten gute Bildung als Chance zum sozialen Aufstieg, sie garantiert den auf sozialer Abschließung bestehenden Gesellschaftsschichten den Fortbestand des Gymnasiums, sie verspricht den Eltern von Kindern mit besonderem Förderbedarf die Inklusion, sie verspricht allen, die darauf angewiesen sind, die Einführung der Ganztagsschule – und das alles vor dem Hintergrund einer Finanz- und Steuerpolitik, die die großen Vermögen begünstigt und einen verarmten Staat in Kauf nimmt. Ohne Umverteilung des vorhandenen Reichtums, ohne einen starken demokratischen Sozialstaat, kann die „höchste Priorität für Bildung“ nur ein Lippenbekenntnis bleiben.

Was folgt daraus für die GEW?

Die GEW ist die Bildungsgewerkschaft im DGB. Das bedeutet, dass sie zunächst den Schutz der PädagogInnen vor Arbeitsüberlastung und den Kampf um eine angemessene Bezahlung zu organisieren hat. Darüber hinaus verfolgt sie bildungspolitische Ziele im Interesse der Lohnabhängigen und Marginalisierten. Das objektive gemeinsame Interesse mit diesen besteht in einer angemessenen Finanzierung und demokratischen Struktur des Bildungswesens. Beide Seiten sind aufeinander angewiesen, denn die Beschäftigten und die Nutzer der Bildungseinrichtungen können nur gemeinsam solch tiefgreifende Reformen durchsetzen. Aber dieses gemeinsame objektive Interesse setzt sich nicht automatisch subjektiv um. Die herrschende Bildungspolitik verspricht der Bevölkerung mehr, als sie halten kann. So entstehen Ansprüche, die nicht nur von der Politik, sondern auch von den Eltern an die Bildungsinstitutionen herangetragen werden, aber angesichts der Mängel von Finanzierung und Struktur nicht eingehalten werden können.

Dabei entstehen mehrere Probleme:

  • Propagiert die GEW bildungspolitische Ziele, die auch von der herrschenden Politik als Versprechungen verkündet werden (wie Inklusion und Ganztagsschule), ohne ausreichend deutlich zu machen, dass diese Ziele mit den zur Verfügung gestellten Mitteln und Strukturen nicht realisiert werden können, so vernachlässigt sie die Interessenvertretung der PädagogInnen, deren Arbeitsdruck sich durch den Widerspruch von Ansprüchen und Mitteln ständig erhöht.
  • Beschränkt sich die GEW anders herum auf den Kampf um die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, ohne sie in den bildungspolitischen Kontext zu stellen und darüber aufzuklären, dass eine Überlastung und schlechte Bezahlung der PädagogInnen die Qualität der Bildung senkt, so verliert sie ihre Bündnispartner und bleibt isoliert.
  • Wird die Vernachlässigung der öffentlichen Bildungseinrichtungen angeprangert, ohne politische Alternativen aufzuzeigen, so kann das als Wasser auf die Mühlen der Privatisierungslobby missdeutet werden, die den Eindruck erwecken will, dass der Staat ohnehin nicht in der Lage ist, „kundengerechte“ Dienstleistungen zu erbringen.

Die GEW braucht eine langfristig angelegte Kampagne für eine bessere Bildungsfinanzierung

Seit über drei Jahrzehnten liegen die Bildungsausgaben in Deutschland auf unterdurchschnittlichem Niveau. Keine Regierungskoalition hat daran etwas geändert. Die Steuersenkungen der Schröder-Regierung, die „Schuldenbremse“ und die Politik der „schwarzen Null“ verfestigen diesen Zustand. Fast alle verantwortlichen Politiker aus CDU/CSU, SPD und Grünen stellen immer wieder klar, dass sie diese Politik fortsetzen wollen. Große Teile der Medien unterstützen die dabei.

Vor diesem Hintergrund sind fast alle Auseinandersetzungen, die die GEW führt, darauf beschränkt möglichst weitere Verschlechterungen zu verhindern. Das ist notwendig, aber auf die Dauer frustrierend. Soll sich an diesem Zustand etwas ändern, bedarf es einer großen, langfristig wirkenden Bewegung für eine bessere Ausstattung der Bildungseinrichtungen, die von der herrschenden Politik nicht ignoriert werden kann.

Zunächst ist hierfür die Verbreitung von Wissen über die Ursachen der Unterfinanzierung und über politische Alternativen notwendig, z.B. über alternative Steuerkonzepte, die die Handlungsfähigkeit des Sozialstaats sichern. Zugleich geht es darum, Bündnispartner zu gewinnen, die sich ebenfalls für das Ziel eines demokratischen Sozialstaats einsetzen und Wege zu finden, wie die Alternativen einer großen Öffentlichkeit bekannt gemacht werden können. Die Chancen hierfür sind vorhanden. Das allgemeine Unbehagen über den Zustand der Bildungseinrichtungen ist groß.

Die von der Bundes-GEW begonnene Kampagne „Bildung. Weiter denken!“ kann trotz ihres wenig geeigneten Titels ein Anfang sein. Alle aktuellen Auseinandersetzungen – um die Bachelor-Absolventen als Vertretungslehrkräfte und die fehlenden Referendariatsplätze, um ausreichende Mittel für die schulische Bildung der Geflüchteten, um die Ausstattung der Inklusion, um die fehlenden Kita-Plätze usw. - müssen mit der politischen Forderung nach ausreichender Bildungsfinanzierung verknüpft werden. Sie muss das leitende Thema sein, das in vielen Variationen gespielt wird.