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Der Stadtschülerring Bremerhaven wird 60

Der Stadtschülerring (SSR) Bremerhaven war in seinem Tun jeweils Kind seiner Zeit; das zeigt ein Überblick über die 60 Jahre seiner bisherigen Existenz. Er brachte die jeweils aktuellen politischen und vor allem bildungspolitischen Auseinandersetzungen voran oder vollzog sie nach, die schulischen Sorgen der Nachkriegs- uns Aufbauzeit und der deutschen Teilung ebenso wie die Aufbruchstimmung der späten 60er Jahre, die Zeit der Bürgerbewegungen, der ökologischen Umorientierung oder des aktuellen Kampfes gegen die Unterfinanzierung der Schulen.

Die Anfänge

Der SSR ist die Gesamtschülervertretung Bremerhavens. Seine Entstehung verdankt er der Absicht der Amerikaner, in ihrer Besatzungszone die Demokratisierung der Gesellschaft voranzutreiben, auch an den Schulen. Die erste Gesamtvertretung kommt dann 1950 zustande. Sie widmet sich z.B. dem Projekt „Das offene Rathaus“ und der Initiative für Schüler „Bürgermeister für einen Tag“. Unter Leitung von Karl Willms, dem späteren OB, erscheint 1953 zum ersten Mal das „Schul-Echo“ des SSR, und das arbeitet so gut, dass die Raabe-Schule das Verteilen des Blattes auf ihrem Schulhof verbietet.
Nicht nur Innerschulisches, auch die deutsche Teilung beschäftigt den SSR-Vorstand. Er beteiligt sich am „Schüleraustausch mit Mitteldeutschland“ und strebt 1956 einen „Klassenaustausch mit der SBZ und Besuche in der Zone“ an.

Die aufmüpfigen Jahre

Als die ersten Ausläufer der Studentenbewegung Bremerhaven erreichen, ändern sich die SSR-Themen allmählich. Der Vorstand lädt 1966 Prof. Wolff aus Bremen ein, der über den Vietnamkrieg referiert, und mit Schauspielern der Stadttheaters veranstaltet er eine Brecht-Lesung. Als das „Schul-Echo“ aus einer DGB-Zeitschrift den kritisch-ironischen Test „Mögen Sie die Bundeswehr?“ übernimmt, muss auf Betreiben der örtlichen Bundeswehrführung der Vertrieb des Heftes gestoppt werden. 1967 plant der Vorstand einen Fragebogen zur Schüler-Sexualität und erstellt für den Gemeinschaftskunde-Unterricht eine Vorlage über die Notstandsgesetze. Der SSR beteiligt sich an den wieder auflebenden Ostermärschen, kämpft gegen die Zensierung von Schülerzeitungen, für Schüler-Raucherzimmer und eine selbstverwaltete Schule. In den 70er Jahren protestiert er gegen Berufsverbotsverfahren für Bremerhavener Lehrer, u.a. für Frank Behrens (DKP) und Anne Schmeckies (KBW). Aufgrund dieser Aktivitäten fordert 1979 die Junge Union, dem SSR alle Magistrats-Zahlungen zu streichen – ohne Erfolg.

Unterfinanzierung der Schulen und Bürgerbewegungen

Nun intensiviert sich die Zusammenarbeit mit der GEW, z.B. 1981 im Bremerhavener Schülerstreik gegen die „Rotstiftpolitik“. 1983 steht mit Canan Cengiz erstmals eine Schülerin an der Spitze des SSR; sie organisiert einen Projekttag gegen Fremdenfeindlichkeit. Im selben Jahr steigt ein Friedens-Aktionstag der Bremerhavener Schulen gegen die Stationierung der Pershing II- Raketen in der BRD, mit Kundgebung vor der Großen Kirche und Pflanzung eines Friedensbaumes.
1986 rufen die Gewerkschaften zu einer Kundgebung für das durch den §116 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) bedrohte Streikrecht auf; dass der SSR alle Schüler/innen zur Teilnahme daran aufruft, wertet das Schulamt als Aufruf zum Unterrichtsboykott.
1987 organisiert er einen Streik gegen die drohende Verschärfung der Abiturbedingungen; „Mitte“, „Scholl“ und Heine-Schule werden besetzt; anschließend geht es per Bus zum Protest gegen die KMK-Sitzung nach Dortmund. Im selben Jahr rückt zum ersten Mal die DVU in die Bremerhavener Stadtverordneten-Versammlung ein; der SSR lädt zur Protestkundegebung dagegen ein und formuliert Forderungen zur Behandlung des Rechtsradikalismus im Unterricht.

Die neunziger Jahre

Umweltpolitik wird Thema. Dazu gibt es zusammen mit der Schüler-Aktionsgruppe Natur- und Umweltschutz (SANU) ein Seminar in Bremen. 1991 beginnen die USA ihren ersten Golfkrieg; die Schüler demonstrieren am nächsten Vormittag spontan dagegen von der Großen Kirche bis zum Kreiswehrersatzamt in der Wiener Straße; und zur Großkundgebung der Friedensbewegung vor der Carl-Schurz-Kaserne mobilisiert der SSR in Schülerkreisen.
Zusammen mit GEW und ZEB führt der SSR 1992 eine große Bildungsdemonstration durch, auf der sich zum ersten und einzigen Mal mit Henning Scherf ein Bremer Bildungssenator dem geballten Bremerhavener Protest aussetzt. Gegen das geplante „Turbo-Abi“ geht der SSR schon 1993 mit einer 1000-Schüler-Demo an. Zudem kämpft er gegen den Versuch der CDU, die Pestalozzischule II zu einem „durchgängigen Gymnasium“ auszubauen – und tatsächlich setzt der Schulausschuss diesen Versuch einstweilen aus. Nach der Kommunalwahl soll die Pesta II nun doch wieder „durchgängiges Gymnasium“ werden, aber unter tatkräftiger Mithilfe des SSR muss das Vorhaben wegen minimaler Anwahlzahlen zur Jahrtausendwende wieder eingestellt werden. Erst ein neuer Versuch mit der GyO „Mitte“ zusammen beschert der CDU dann 2006 das ersehnte „durchgängige“ Gymnasium. Bei einem mit GEW und ZEB organisierten Sternmarsch 1997 gegen neue Bildungskürzungen erhält die neue Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs in Abwesenheit vom SSR den Pokal „Siegerin im Kaputtsparen“ verliehen.

Das neue Jahrtausend

Zusammen mit ZEB und GEW wird 2001 eine verrückte Aktion gestartet: Um dem Magistrat dabei zu helfen, aus Kostengründen möglichst viele Schulen zu schließen, wird die Deichschule öffentlich versteigert – und bald danach wirklich geschlossen. Beim „Tag der Schülerfungis“ (Schülervertreter) von 2003 geht es um „Mobbing in der Schule“, und ein Jahr später nehmen die Schüler/innen an der legendären „Rückwärtsdemo“ gegen die rückwärtsgewandte Bildungspolitik teil, bei der in der Fußgängerzone Schüler, Lehrer und Eltern rückwärts gehen.
Es folgen 2005 zwei große SSR-Veranstaltungen mit Experten zum Thema „Schülerarmut in Bremerhaven“. Seit 2009 legt der SSR den Fokus wieder verstärkt aufs „Turbo-Abi“: Mit einem Flashmob vor der Großen Kirche und 2010 mit einer Veranstaltung samt Demo zum Büro des Bildungsdezernenten Dr.Paulenz, wieder gemeinsam mit GEW und ZEB.

Fazit

Was wurde eigentlich beruflich aus den vielen Schüler/innen, die im Laufe der Jahrzehnte im SSR mitgearbeitet haben? Immerhin kann man davon ausgehen, dass sich eher die Aufgeweckten, politisch Aktivsten in den SSR-Vorständen wieder finden. Die meisten von ihnen machten Abitur und studierten anschließend, andere machten eine Berufsausbildung. Auffällig häufig wurden sie zu Pädagogen aller Schattierungen, auch zu Redakteuren und Schauspielern; manche wählten den Arztberuf, aber nur wenige wurden Politiker.
In der letzten Zeit hat sich die Arbeit im SSR deutlich verändert. Im Unterschied zu früher bringen die Vorstandsmitglieder heute praktisch keine politische Erfahrung mehr mit. So wird der Verbindungslehrer des SSR für die Arbeit immer wichtiger. Neben Organisator und Moderator ist er nun zunehmend politischer Sozialisator. Deshalb ist nach Ausscheiden des jetzigen Verbindungslehrers eine Neuausschreibung unabdingbar.

Der Autor:

  • Eberhard Pfleiderer ist seit 18 Jahren SSR-Verbindungslehrer und scheidet in einem Jahr aus dem Amt
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Karsten Krüger
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