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Der dritte Lehrer

Für Schulplaner und Architekten, die Schulen entwerfen und deren Bau begleiten, und in der schulpädagogischen Fachdiskussion gilt es mittlerweile als Banalität, dass die Lust zum Lernen und Lehren ebenso wie die Art und Weise des Schullebens insgesamt maßgeblich von Schulgebäuden, den Lernumgebungen im engeren Sinn und vom Schulgelände insgesamt mitbestimmt werden. In einer schwedischen Pädagogenweisheit wird daher der Raum ebenso als Lehrer angesehen wie die Lehrkräfte und die Mitschüler/innen. Er ist – metaphorisch gesprochen – der „dritte Lehrer“.

Weit weniger ist der Zusammenhang von Bauen und Bildung im Alltagsbewusstsein derer verankert, die Schulgebäude als Lern- oder Arbeitsplatz nutzen. In Schulerinnerungen – und zwar unabhängig davon, ob sie aus Lehrer/innen- oder Schüler/innenperspektive geäußert werden - tauchen die räumlichen Bedingungen des Lernens und des Schulalltags kaum von selbst auf. Schulraum war in den meisten Fällen eine selbstverständlich vorgefundene Bedingung, an die es sich anzupassen galt. Wie der Raum die Lernatmosphäre, die Betätigungsmöglichkeiten der Schüler/innen prägte und wie er die Beziehungen zwischen den Lernenden und Lehrenden modellierte, entzieht sich nicht selten der bewussten Wahrnehmung.

Das Projekt

In Bremen soll ein Ausstellungsprojekt diesen Zusammenhang jetzt konkret untersuchen. Dies geschieht vor dem Hintergrund, dass nach einem Sanierungsstau – von der Öffentlichkeit nahezu unbemerkt – im letzten Jahrzehnt die umgestaltende Sanierung zahlreicher älterer bremischer Schulen in Angriff genommen wurde. Dabei hat sich herausgestellt, dass besonders dort architektonisch innovative und pädagogisch gute und praktisch akzeptierte Raum- und Lernumgebungskonzepte entstanden sind, wo partizipative Plaungsprozesse realisiert werden konnten, dort also, wo Schulplaner, Architekten, Lehrkräfte und Schülerschaft gemeinsam nach Lösungen suchten.[Vgl. dazu Marco Behrens: Eine moderne Schule aus Kaisers Zeiten – Beobachtungen eines Architekten zum Umbau eines historischen Schulgebäudes. In: ZMB 66/2006, S. 37 – 45. Antje Waterholter: Wir machen Schule. Ein Beteiligungsprojekt am Beispiel der Kinderschule Bremen. Hrsg. vom Bremer Zentrum für Baukultur. Bremen 2009.] Dies soll bei künftigen, noch in größerer Zahl notwenigen Schulsanierungen beherzigt werden. Die Ausstellung versteht sich dabei als Ort der Dokumentation, der Kommunikation von Erfahrungen und der Diskussion, als Ort, an dem Informationen und Anschauungsmaterial zum Zusammenhang von Bauen und Bildung historisch und systematisch ausgebreitet werden und zwar so, dass sie unterschiedliche Besucher – Grundschüler/innen ebenso wie ein Fachpublikum - zum praktischen Erkunden, zur Reflexion und zur Entwicklung von konkreten Veränderungsideen für Schulräume anregen.
Für die Konzeption der Ausstellung war es notwendig ein Gleichgewicht zwischen bildungs- und schulbauhistorischen sowie systematischen Zugängen herzustellen, es galt praktische Beispiele zu finden, an denen die beschränkende oder fördernde Rolle des Raums für die pädagogischen Prozesse sinnfällig gezeigt werden kann. Dabei stellte sich heraus, dass zu vielen Aspekten des Schulbaus konkret geforscht werden musste. Nicht zuletzt deshalb hat das Projekt eine Vorlaufzeit von inzwischen fast drei Jahren. Die Forschungsarbeit gab einen Einblick in die Entwicklung des Schulbaus unter den schwierigen, aber mit einem pädagogischen Aufbruch verbundenen Bedingungen der 1950er Jahre. Sie zeigte auch auf, wie nach diesem weit über die Grenzen Bremens hinaus als vorbildlich anerkannten Schulbau unter dem Zwang den „Schülerberg“ der 1960er und 1970er Jahre zu beschulen, bauökonomische, aber pädagogisch kontraproduktive schularchitektonische Lösungen favorisiert wurden. Gegenwärtig werden in vielen Schulsanierungen und einigen wenigen Schulneubauten architektonische Neuansätze für Bremens Schullandschaft entwickelt. Sie beheben nicht nur Fehler aus den 1960er und 1970er Jahren, sondern erweitern Schule entsprechend neuer schulpädagogischer Bedürfnisse zu Lern- und Lebensräumen, die sowohl den Menschen in der Schule und – durch die Beachtung ökologischer Standards – auch der Umwelt gerecht werden.

Die Ausstellung

Beim Projekt „Der dritte Lehrer“ schien sich eine lineare, historisch gegliederte Erzählung anzubieten, denn auch um 1900 wurden in Bremen zahlreiche Schulbauten realisiert, die nicht nur wegen ihres architektonischen Standards erwähnenswert sind, [Vgl. Rolf Gramatzki/ Ulla M. Nitsch: „Zweckmäßigkeit und Schönheit“ – Bremer Volksschulbau um 1900. In ZMB 66/2006, S. 7 – 20. ] sondern auch weil damals, einen kurzen historischen Moment lang zwischen Bau und Pädagogik ein Gleichklang herrschte: mit ihren auf das Katheder ausgerichteten Raumstrukturen, den schmalen, langen Gängen, die Bewegungsdisziplin einforderten, entsprach der Raum dem lehrer- und lernzentrierten Unterricht der Kaiserzeit. Die neueingerichteten Hörsäle (auch in Volksschulen) und Lehrmittelkabinette repräsentierten dabei das Bemühen um einen zeitgemäßen, der demonstrierenden Anschauungspädagogik verpflichteten Unterricht.
Bei dieser Art der historisch erzählenden Darstellung wären allerdings der Schulbau der 1950er Jahre und der Gegenwart, an deren Kommunikation den Ausstellungsautoren besonders lag, von einer Fülle gleichrangig dargebotener Schulbaubeispiele erdrückt worden. Daher soll jetzt das Thema Bauen und Bilden in der Ausstellung von zwei Zentren her beleuchtet werden:

Wilhelm Berger: „Schulen von heute für morgen“

Das Zentrum des historischen Teils ist der „Marktplatz“, der Kommunikations- und Begegnungsraum, um den herum der Oberschulrat und Schulplaner Wilhelm Berger (1901 – 1974) die Bremer Schulen der Nachkriegszeit aufgebaut hat. Vier Kabinette grenzen an ihn an: eins ist den Versuchsschulen der 1920er Jahre gewidmet und zeigt wie in deren Pädagogik die Raumbedarfe für tätiges und eigenständiges Lernen in Schule, Stadtteil und Landheim quasi vorformuliert wurden. [Vgl. Hermann Stöcker: Bildungs(t)räume am Beispiel von vier Fotografien aus der Bremer Versuchsschule an der Helgolanderstraße(1920 – 1933). In ZMB 66/2006, S. 21 – 36.] Wie diese pädagogischen Räume in den 1950er Jahren dann gestaltet wurden, zeigt der Marktplatz theoretisch, u.a. indem er das richtungsweisende Buch Wilhelm Bergers „Schulen von heute für morgen“ in Überlebensgröße zum Blättern zur Verfügung stellt. Architektonische und unterrichtspraktische Einblicke wird ein Klassenzimmer-Kabinett ermöglichen. Antithesen zum Bremer Schulbau der Berger-Äera beinhalten die Kabinette zum Schulbau um 1900 und der 1970er Jahre. Denn Berger, der selbst als Lehrer einer Versuchsschule gearbeitet hatte, kannte die pädagogischen Beschränkungen der Kaiserzeit-Schulbauten aus eigener Erfahrung und verwarf deshalb deren Strukturen und architektonischen Credos für die Schulneubauten nach dem Zweiten Weltkrieg und orientierte sich an Beispielen aus den USA und Skandinavien, die er teils schon in den 1920er Jahren kennen gelernt hatte. Der Beton-Schulbau der 1970er Jahre, dem das vierte Kabinett gilt, entsprach den pädagogischen Zielen, die Bremen sich mit seinen Schulgesetzen von 1949 und 1975 setzte nur bedingt. Er schuf zwar Raum für die ersten Gesamtschulen und die Stufenschulen, mit denen in Bremen das vertikal gegliederte Schulsystem im Ansatz überwunden werden sollte, er stiftete aber keine Räume für ein gutes Miteinander in der Schule. Stattdessen förderte er Aggressivität, Vandalismus, er schnitt die Schüler/innen von frischer Luft und Tageslicht ab, das Widerspiel zwischen Rückzug in der Lerngruppe und Begegnung in Eingangshallen oder auf kommunikativen Außenflächen funktionierte nicht.

Neuansätze im Schul(um)bau

Das zweite Ausstellungszentrum beschäftigt sich mit Neuansätzen im Schul(um)bau. Es zeigt unter verschiedenen Stichworten, wie beispielsweise Licht, Luft, Nachhaltigkeit, gemeinsames und eigenständiges Lernen, Schulleben, Rückzug und Begegnung, Öffnung zum Stadtteil und ganzer Schultag zahlreiche praktische Beispiele aus Bremen, bietet aber auch nationale und internationale Aussichten auf architektonisch gelungene, gute Schule. An diesem Ausstellungsbereich werden auch Schüler/innen mit Arbeiten beteiligt sein, in der sie ihren Schulraum reflektieren und zeigen, was sie sich für das Lernen und Leben in der Schule wünschen. In diesem Ausstellungsteil wird es für die Besucher und besonders Schulklassen auch Möglichkeiten zur Erprobung unterschiedlicher Raum- und Gebäudekonzepte geben. Die Diskussionen und die pädagogischen Aktionen in diesem Ausstellungsteil sollen – so jedenfalls die Hoffnung der Ausstellungsmacher – in einer Publikation münden. Parallel zum progammatischen Werk Wilhelm Bergers „Schulbau von heute für morgen“ [Vgl. Wilhelm Berger: Schulbau heute für morgen. Göttingen 1960.] soll ein Buch entstehen, das die Bedürfnisse von Schüler/innen und Lehrkräften an Schulraum festhält, gute architektonische Lösungen vorstellt, eine progammatische Schrift zum gegenwärtigen Schulbau im Beteiligungsverfahren also. Mal sehen, ob das klappt.

Die Ausstellung „Der 3. Lehrer – Bauen und Bildung in Bremen“ wird vom 6. Mai bis 6. Juni in Bremen in der Unteren Rathaushalle gezeigt werden.

Für ihre Realisierung kooperieren das Bremer Zentrum für Baukultur, das städtebauliche und baugeschichtliche Entwicklungen in Bremen dokumentiert, und das Schulmuseum Bremen, das sich der Bremer Bildungsgeschichte widmet. Öffnungszeiten und Führungsangebote werden ab April auf der Internetseite des Bremer Schulmuseums (www.schulmuseum-bremen.de) und des Bremer Zentrums für Baukultur (www.bzb-bremen.de)