Bisherige Entwicklungsmuster
Seit der Entstehung einer organisierten Berufsvorbereitung für Lehrkräfte im 19. Jahrhundert und ihrer Ausfaltung im 20. Jahrhundert steht die Lehrerbildung in der Kritik. Ihr jeweiliger Zustand wird beklagt; zugleich wurden und werden starke Hoffnungen in Richtung auf eine grundlegende Verbesserung der Situation durch das jeweils propagierte Reformprogramm geweckt. Dabei ist – nüchtern betrachtet – die Geschichte der Lehrerbildung in Deutschland alles in allem als eine kontinuierliche Ausbaugeschichte zu bezeichnen: Der Ausbildungsprozess wurde inhaltlich und institutionell immer gehobener, die administrativen Regelungen immer differenzierter, die offiziell formulierten Ansprüche und ‚Standards‘ immer anspruchsvoller. Gegenwärtig hat Deutschland eines der anspruchsvollsten, aufwendigsten und lebenszeitverbrauchendsten Lehrerbildungssysteme der Welt: Im Jahre 2012 lag das Durchschnittsalter der Absolventen des 1. Staatsexamen bzw. des Lehrer-Masters bei 27,1; das Durchschnittsalter bei Übernahme einer Lehrerstelle lag vor ca. 10 Jahren bei etwa 32 Jahren, aktuellere Zahl liegt mir nicht vor.
Trotz dieser langanhaltenden Niveau- und Aufwandsteigerung ist die Unzufriedenheit mit dem je erreichten Status konstant und bietet immer wieder Anlass für Reformen. Dabei sind jedoch deutliche Wellenbewegungen auszumachen: Immer dann, wenn Schul- und Bildungsreform generell auf der Tagesordnung stehen und viel öffentliche Aufmerksamkeit erlangen, wie etwa im Jahrzehnt der ersten großen Bildungsreform 1965-1975 oder in dem Jahrzehnt „nach PISA“, überschlagen sich auch die Reforminitiativen in der Lehrerbildung. Hierzu trägt die Tatsache bei, dass im föderalen System der Bundesrepublik Deutschland die Lehrerbildung Ländersache ist, so dass die Länder aufgrund der in vielen sonstigen Bereichen stark gesunkenen Autonomie und Gestaltungskompetenz ihre ganze Kreativität und Eigenwilligkeit auf die Gestaltung von Schule und eben auch von Lehrerbildung richten… Dies alles hat dazu geführt, dass die Wege zum Lehrerberuf uneinheitlicher und vielfältiger geworden sind.
Gleichwohl lassen sich bestimmte zentrale Reformlinien feststellen:
Angleichung der Lehrämter untereinander
Die Ausbildung des „niederen“ und „höheren“ Lehramtes haben sich aufgrund von Verfachlichungs- und Pädagogisierungsprozessen bereits in letzten Drittel des 20. Jahrhunderts angeglichen. Mittlerweile ist (in Nordrhein-Westfalen beginnend) auch die Vereinheitlichung der Ausbildungsdauer in Richtung auf ein 10semestriges Universitätsstudium mit anschließendem 1,5 jährigem Vorbereitungsdienst unterwegs. Hieraus müssten eine einheitliche Eingangsbesoldung und ein für alle Lehrämter einheitliches Aufstiegsmodell resultieren – diese Frage ist allerdings noch offen.
Anpassungsprozesse zwischen Lehramts- und Schulstruktur
Schon immer existieren Friktionen und Ungleichzeitigkeiten zwischen Lehramts- und Schulstruktur in einem Bundesland bzw. zwischen den Bundesländern; die Wandlungsprozesse in beiden Bereichen waren und sind nicht immer passgenau aufeinander abgestimmt. Gegenwärtig bewegt sich das deutsche Schulsystem im Sekundarbereich auf die sog. „Zweisäuligkeit“ zu. Der zweiten Säule bleibt das Schicksal, wie die Hauptschule als „Restsäule“ zu enden jedoch nur dann erspart, wenn sie als gleichwertige Alternative von Eltern bzw. Öffentlichkeit akzeptiert wird. Neben anderen Faktoren ist dafür sehr wichtig, dass in beiden Säulen im Prinzip auf gleichem Niveau ausgebildete Lehrkräfte arbeiten. Dies bedeutet langfristig, dass es nur noch einen allgemeinbildender Lehramtstypus auf Sekundarschulebene geben wird, der im Wesentlichen nach dem Muster der Gymnasiallehrerbildung gestaltet sein wird. Dies ist derzeit verbands- und bildungspolitisch jedoch umstritten.
Ausweitung und Verlagerung der Praxisanteile
Seit einigen Jahrzehnten wird im Kontext verschiedener Reformen der Anteil der Praxisphasen in der universitären Lehrerbildung vergrößert. Zugleich kommt es auch zu einer Umschichtung von Praxiszeiten zwischen 1. und 2. Phase (vgl. z.B. Praxissemester). Obwohl der Ruf nach „Mehr Praxis!“ durchweg auf sehr positive Resonanz in der Öffentlichkeit stößt und als bildungspolitisch neutral gilt, führt die Umsetzung in den betroffenen Institutionen (Universitäten, Studienseminaren, Praktikumsschulen etc.) zu erheblichen Problemen. Darüber hinaus gibt es aus der Forschung Indizien dafür, dass es weniger auf die Quantität als auf die Qualität der Praktika und deren Einbindung in den gesamten Lehrerbildungsprozess ankommt.
Versuche zu einer Steuerung über Standards und Zentren
Während traditionelle Prüfungs- und Studienordnungen eher thematisch-curriculare Festlegungen und recht offene Studienvorschriften enthielten – insbesondere in den erziehungswissenschaftlichen Studienanteilen, ist durch die Formulierung von Standards und Kompetenzen für die verschiedenen Elementen und Phasen der Lehrerbildung der Versuch erkennbar, präzisier zu definieren, was an Kompetenzen jeweils erwartet wird und wie sich ein systematischer, kumulativer Kompetenzaufbau organisieren lässt, ohne sich die Nachteile von Verschulung einzuhandeln.
Dieser Vorstellung von Lehrerbildung als längerfristigem berufsbiographischen Entwicklungs- und Professionalisierungsprozess entsprechen Versuche, in der Universität organisierende Einheiten für die Querschnittsaufgabe Lehrerbildung zu definieren (Zentren für Lehrerbildung, Schools of Education). Ebenso wird die Koordination zwischen 1. und 2. Phase vorangetrieben. Der immer wieder verlangte Ausbau der Lehrerweiterbildung („Lernen im Beruf“) bleibt demgegenüber jedoch immer noch hinter den ursprünglichen Erwartungen zurück. Eine Gesamtkoordination der Rekrutierung und Beratung, Bildung und Ausbildung sowie schließlich der Weiterbildung von Lehrkräften zu erreichen bleibt weiterhin Aufgabe; Schritte in diese Richtung wurden unternommen.
Gleichwohl bleiben unabhängig von intentionalen Reformprozessen bestimmte strukturelle, zum Teil nicht steuerbare Einflussfaktoren bestehen:
Lehrerversorgung - Überproduktion und Lehrermangel zugleich
Sehr stabil ist der Mangel im Bereich der MINT-Fächer sowie umgekehrt eine gewisse Überversorgung in sprachlich-kulturellen Fächern. Allgemeine, landes- oder bundesweite Daten über Lehrermangel und Lehrerüberproduktion sind allerdings wenig aussagekräftig – es kommt eben sehr auf die Region, die Schulform bzw. Schulstufe und die Fächerkombination an.
Lehrerarbeitslosigkeit
Aufgrund des stabilen Rückgangs der absoluten Schülerzahlen auf allgemeiner Ebene (bei starken regionalen Differenzen!)und der in den letzten Jahren gestiegenen und gegenwärtig hohen Einstellungszahl junger Lehrkräfte einerseits und angesichts der hohen und noch wachsenden Zahlen in der Lehrerbildung andererseits lässt sich voraussehen, dass es in Westdeutschland ab ca. 2020 generell zu einer deutlichen Steigerung der Zahl nicht in den Dienst übernommener Lehrkräfte kommt (vgl. Abb. 2 und 3). Hier wiederholt sich ein bekanntes Muster: Die zerklüftete Alterststruktur der Lehrerschaft führt – sofern nicht andere Faktoren dies ausgleichen – zu einer ständigen Wechsel von Überfüllung und Mangel, der bildungshistorisch seit der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts gut belegt ist. Und aus der Geschichte weiß man ebenfalls, dass in Phasen der Überfüllung die Themen Lehrerberuf und Lehrebildung politisch in der Versenkung verschwinden, um dann in der Zeit des Mangels… - und immer so fort.
Auf diese Weise tragen strukturelle Faktoren sowie bildungspolitische Wellenbewegungen zu einer auf- und abschwellenden Diskussionslage bei, die sich in unterschiedlich intensiven Reformperioden manifestiert.