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Bremen im Trend

Am 14. März 2011 eröffnete Prof. Dr. Klaus-Jürgen Tillmann die 29. Pädagogische Woche in Bremerhaven. Sein Vortrag ordnete die Schulentwicklung in Bremen und Bremerhaven ein in den bundesweiten Trend zu einem zweigliedrigen Schulsystem.

Einleitend wies Prof. Tillmann darauf hin, dass zwar behauptet würde, „die Schulstruktur sei gar nicht so wichtig“, tatsächlich „in vielen Bundesländern eine nicht unerhebliche Veränderung genau dieser Struktur“ stattfinde. Und dies hat Geschichte: Solange höheres und niederes Schulwesen getrennt sind, solange gab es Bestrebungen zur Aufhebung dieses „Instruments der Klassengesellschaft“, von Humboldts „Litauischen Schulplänen“ über die Reichsschulkonferenz 1920 bis zur Etablierung zweier deutscher Schulsysteme nach Ende des zweiten Weltkriegs.

Erstes Fazit:

  • Ein Problem ist seit der Aufteilung des Schulwesens geblieben: Der Zugang zum Gymnasium hängt nicht nur von der Leistung, sondern erheblich von der sozialen Herkunft ab;
  • das Gymnasium hat sich in den letzten Jahrzehnten durch die gestiegene Anzahl der dort unterrichteten Schüler/innen eher gefestigt, so dass in Deutschland – im Gegensatz zu anderen Ländern – der Zeitpunkt des Übergangs zu einem integrierten System verpasst wurde, als das Gymnasium in einer klaren Minderheitenposition war.

Nun kann und soll in diesem Artikel nicht nachgezeichnet werden, wie sich in den einzelnen Bundesländern derzeit die Schulstruktur im Detail zeigt, auch nicht, wie sich die jeweiligen Kultusministerien in ihren Wortschöpfungen zur Bezeichnung der Sekundarstufe I zu übertreffen versuchen. Allerdings gilt: 11 von 16 Bundesländer sind im gängigen Sprachgebrauch „zweigliedrig“ (in der Realität wegen der Unterschlagung der Sonderschulen allerdings nicht), Tendenz steigend.

Konfliktvermeidung durch die 2 Säulen

Tillmann lässt keinen Zweifel aufkommen, worin er die Attraktivität der Zweigliedrigkeit sieht: Unabhängig davon, wie sich dieses System von Bundesland zu Bundesland hin ausprägt (Kriterien sind dabei weitere Schulform-Angebote, der Zugang zum Gymnasium, die genutzten Differenzierungsformen, der Zugang zum Abitur und die Ausstattung der „2.Säule“), wird das Gymnasium in einer 2-Säulen-Struktur kaum tangiert. „Es bleibt in seiner Struktur, seiner Bedeutung, seinem Gratifikationspotenzial unangetastet“ – und der Konflikt mit Gymnasialvertretern wird vermieden. Damit findet es im politischen Raum hohe Resonanz und trifft bei Parteivertretern auf große Zustimmung.

Bremische Besonderheiten

In seiner auf die oben zitierten Kriterien bezogenen Analyse kommt Tillmann zu dem Schluss, dass die Zweigliedrigkeit in Bremen und Bremerhaven eine „andere Färbung“ annehme. Er hebt hervor:

  • „Die Zweigliedrigkeit in Bremen ist kein Marktmodell“ bei dem die Eltern über den Zugang zum Gymnasium frei entscheiden können – mit der Konsequenz, dass Gymnasien entsprechend Schüler/innen „abschulen“ dürfen. Damit komme man in Bremen „der Gleichstellung von Gymnasium und Oberschule … so nahe wie in keinem anderen Bundesland“;
  • die Weiterentwicklung des Stufenschulsystems in Bremerhaven: Die 10 Oberschulen und das eine Gymnasium bildeten eine „bundesweit einmalige Sekundarschulstruktur“. Durch die Umwandlung von Schulzentren und integrierten Gesamtschulen in Oberschulen entwickelt sich ein Weg hin zu mehr Integration, der die Übergangs- und Fusionsprobleme anderer Bundesländer nicht habe.

Uneingeschränkte Zuversicht?

Bei aller Einzigartigkeit der Schulentwicklung unseres Bundeslandes hebt Tillmann an einigen Stellen seines Vortrages auf die Differenz zwischen Planung und Umsetzung ab. So traut er dem Bremer Verfahren mit „Verzicht auf Markt und Konkurrenz, Verknappung der Gymnasialplätze, Beschränkung des Elternwillens“ zu, dass es damit eher gelingen kann, hohe Leistungen mit einer geringen sozialen Auslese zu verbinden. Allerdings müssten derartige Vermutungen an der Realität der nächsten Jahre empirisch geprüft werden. Andererseits weist er darauf hin, dass die Gleichstellung von Gymnasium und Oberschule natürlich noch nicht vollzogen sei und die Oberschule darauf achten müsse, für Eltern leistungsstarker Schüler/innen attraktiv zu bleiben. In diesen Aussagen schwingt mit, dass die strukturellen Voraussetzungen eine Komponente erfolgreicher Bildungsprozesse sind, andere Merkmale ebenso Gewicht haben. Nur: Die Bereitstellung von Ressourcen, die Sicherung erfolgversprechender Arbeitsbedingungen und die Umsetzung des entscheidenden Schritts zu einer Schule für alle sind Gegenstand anderer Referate.