Nach Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit waren 2015 um die 961 000 Menschen in derartigen Verhältnissen beschäftigt, Tendenz steigend, bei jährlichen Zuwächsen von mehreren Prozent. Die Auswirkungen für die Betroffenen sind kein Geheimnis: Sie arbeiten in der Regel zu schlechteren Konditionen als die Kolleginnen und Kollegen in den Stammbelegschaften, was Gehalt, Arbeitsschutz, Sonderleistungen wie Weihnachtsgeld, Pausenregelungen und ähnliches betrifft. Sie selbst sind beim verleihenden Unternehmen beschäftigt, das an der 'Ausleihe' ordentlich verdient. Die Branche klopft sich auf die Schulter - und der Chor neoliberaler Wirtschaftsexperten stimmt ein - dass so zumindest feste Arbeitsplätze in der Zeitarbeit entstünden. Doch zum einen ist das ein schlechter Trost für weniger Lohn und geringere Absicherung. Und zum anderen stimmt es faktisch nicht: Laut Zahlen des DGB sind nur 13% der Beschäftigten länger als ein Jahr bei ,ihrer' Zeitarbeitsfirma. Im produzierenden Gewerbe sind die Verweildauern zwar höher, dennoch geht für die Mehrheit der Menschen Leiharbeit mit Existenzunsicherheit einher. Da der gesetzliche Kündigungsschutz erst nach sechs Monaten greift, gilt für nicht wenige, die unterhalb dieser Anstellungsdauer bleiben, das Gesetz von 'Hire and Fire' . Für die modernen ‚Tagelöhner’ (DGB) ist es schwer, ein planbares Familien und Arbeitsleben hinzubekommen. Für die modernen Tagelöhnerinnen noch mehr, insbesondere wenn sie alleinerziehend sind.
Leiharbeit und Outsourcing
Es verwundert nicht, wenn Leiharbeit als ein Element von Outsourcing-Strategien auch gezielt zur Lohnsenkung und zum Abbau arbeitsrechtlicher Schranken eingesetzt wird. Ein Beispiel von vielen: Die Kieler Nachrichten lagerten 2004 ihre Druckerei in einer GmbH aus und liehen sich die Arbeitenden zu deutlich schlechteren Bedingungen wieder zurück. Der Stundenlohn wurde um die Hälfte auf 6 Euro pro Stunde gesenkt, die Nachtzuschläge von 50 auf 25%. Pausenregelungen wurden vermindert. Im Daimler Werk Bremen gab es Anfang 2015 einen ‚wilden’ Streik’, weil die Betriebsleitung über das Instrument der Werkverträge Menschen zu niedrigeren Löhnen angestellt hatte und Angehörige der Stammbelegschaft von ihren angestammten auf teilweise schlechtere Positionen in der Produktion versetzen wollte. Den über Werkvertrag Eingestellten wurde unter Tarif gezahlt. Dank Intervention des Betriebsrates wurden diese dann wenigstens in die unterste Lohngruppe eingruppiert, auch wenn sie de facto Tätigkeiten aus höheren Lohngruppen verrichten. Betriebsrat Goldstein rechnete 2015 damit, dass in Zukunft Werkverträge auf dem Niveau des Mindestlohnes angepeilt werden. Bei der Meyer-Werft in Papenburg ist dieser für den Profit erfreuliche Zustand mithilfe von Werkverträgen schon erreicht, wie anlässlich eines Brandes im Wohnheim der aus Rumänien kommenden Arbeitskräfte in die Öffentlichkeit drang.
Leiharbeit historisch
Weitgehend vergessen ist, dass Leiharbeit aus diesen Gründen nicht nur im gewerkschaftlichen Milieu geradezu verpönt war. Was im deutschen Kaiserreich noch eine Normalität darstellte, sah man in den Gewerkschaften, der SPD und auch in Teilen des Zentrums als missbräuchliche Form privater Arbeitsvermittlung<s>.</s> In der Weimarer Republik wurde die Leiharbeit daher rechtlich mit der Arbeitsvermittlung gleichgesetzt und diese 1927 in staatliche Hand übernommen. Leiharbeit war die Ausnahme und blieb es bis in die Sechziger Jahre. Dank eines gewonnenen Prozesses eines schweizerischen Leiharbeitsunternehmens vor dem Bundesverfassungsgericht war sie ab 1967 zwar wieder legal, wurde in ihrer gesetzlichen Neufassung 1972 jedoch auf einen Zeitraum von durchschnittlich drei Monaten begrenzt. Wollte ein Unternehmen die ausgeliehene Arbeitskraft weiter beschäftigen, so musste es ein reguläres Arbeitsverhältnis anbieten. Die Leiharbeit ermöglichte so eine Art von verlängerter Probezeit für die Unternehmen bzw. die vorübergehende Anstellung von Arbeitenden in Phasen ausnahmsweiser übergroßer Auslastung der Produktion. Die gesetzliche Befristung sollte andererseits sicherstellen, dass Leiharbeit nicht 'missbraucht' wird, um tariflich garantierte Lohnhöhen, Arbeitsbedingungen oder anderweitige Leistungen zu unterlaufen.
Die Freisetzung der Leiharbeit unter Rot-Grün
Seitdem ist bekanntlich viel passiert, vor allem eine umfassende Deregulierung des Arbeitsmarktes, die von der Regierung Kohl nur vorbereitet, von der rot-grünen Koalition unter Schröder dann aber umso durchschlagender umgesetzt wurde, nämlich im Jahr 2004 im Rahmen einer Neufassung des Gesetzes zur Arbeitnehmerüberlassung. Die zeitliche Beschränkung auf drei Monate wurde abgeschafft, mit der offiziellen Begründung, dass so neue Arbeitsplätze entstehen könnten oder zumindest die Verweildauer der Beschäftigten in Arbeit erhöht würde. Eine technokratische Metapher dafür wurde auch geprägt: 'Klebeeffekt', weil die Menschen mit der Zeit dann doch beim Unternehmen kleben blieben. Mittlerweile hat sich gezeigt, dass der versprochene 'Klebeeffekt' nur in geringem Ausmaß eingetreten ist. Stattdessen ist Leiharbeit zu einer Form der regulären Beschäftigung geworden, die bestehende Tarifstandards unterläuft. Nichts anderes war zu erwarten, wenn man den Unternehmern dauerhafte Leiharbeit auf dem Silbertablett serviert.
Der Streit um die Neureglung
Die SPD sieht dies inzwischen offenbar selbst als Fehler, wie sonst ist es zu erklären, dass Andrea Nahles im Zuge der geplanten Neufassung des Gesetzes wieder eine Befristung einführen will, freilich ohne zu der früheren Drei-Monatsregelung zurückzukehren, die offenbar auch für eine Parteilinke des Jahres 2016 nicht mehr zeitgemäß ist. Im Grunde räumt sie damit nur den Dreck weg, den die rot-grüne Vorgängerregierung hinterlassen hat - wäre das Gesetz nicht geändert worden, müssten die Befristung und andere geplante Einschränkungen nicht erst wieder eingeführt werden. Und selbst das tut sie halbherzig, beläuft sich die von ihr vorgeschlagene Höchstgrenze der 'Arbeitnehmerüberlassung' doch auf 18 Monate. Natürlich geht der Entwurf den wirtschaftspolitisch Verantwortlichen von DDU/CSU schon viel zu weit. Und aus dem Unternehmerlager wird bereits der Untergang des Abendlandes ausgerufen, der bekanntlich bei jeglicher Einschränkung unternehmerischer Freiheit droht. Achtzehn Monate zerstörten jede ,Flexibilität ', heißt es. Da grenzt es ja fast an ein Wunder, dass die deutsche Wirtschaft ihren oftmals beschworenen Aufschwung nach dem Kriege fast ohne Leiharbeit geschafft hat.
Kleine Erinnerung an eine unflexible Zeit
Angefangen hatte alles damit, dass in den Jahren des ,Aufbaus' nach dem Zweiten Weltkrieg Wirtschaftswachstum und Beschäftigung weitgehend Hand in Hand gingen. Die deutsche Industrie rationalisierte zwar kräftig, der expandierende Weltmarkt mit seinen neu hinzugekommenen Staaten boomte aber so stark, dass zumindest hinreichend viel neue Arbeitsplätze entstanden, um die eingesparten zu ersetzen und das Zauberwort der Vollbeschäftigung durch die wirtschaftspolitische Debatte geistern zu lassen. Zudem war eine Systemkonkurrenz auszutragen gegen eine DDR, die ihren 'Werktätigen' zumindest eine Arbeitsplatzgarantie zu bieten hatte. Die Antwort lautete bekanntlich ,soziale Marktwirtschaft' und postulierte die Vereinbarkeit von kapitalistischem Wachstum und sozialer Absicherung, ja sie versprach sogar wachsende Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum auch für die Lohnabhängigen im Maße der steigenden Produktivität der Arbeit. Das war zwar immer auch ein Stück weit Ideologie - was zum Beispiel alleinerziehende Mütter zu spüren bekamen, oder überhaupt Menschen, die keine lückenlose Erwerbsbiografie aufweisen können. Aber es war auch Realität, denn das internationale Wachstum bot genug Geschäftsgelegenheiten, um eine annähernde Vollbeschäftigung bei gleichzeitiger sozialer Sicherung zu finanzieren.
Geschenkt wurde trotzdem nichts, alles musste erkämpft werden.