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Schwerpunkt

Der umstrittene Beamtenstreik

Einige Erfahrungen der Bremer GEW aus den vergangenen Jahrzehnte

Das wirksamste Mittel, mit dem abhängig Beschäftigte ihren Arbeitgeber zur Erfüllung ihrer Forderungen bewegen können, ist die kollektive Verweigerung der Arbeitskraft. Im 19. Jahrhundert wurden Streiks noch meist mithilfe staatlicher Gewalt unterdrückt. Erst in langen Kämpfen setzten die Arbeiter ihre Legalität durch. In Deutschland haben die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht seit der Weimarer Republik Verfassungsrang. Nur von 1933 bis 1945 waren sie aufgehoben. In der Bundesrepublik gilt das Streikrecht für Arbeiter und Angestellte, eingebunden in das Tarifrecht, für Fragen des Gehalts und der Arbeitszeit unbeschränkt. Für Beamtinnen und Beamte war es von Beginn an umstritten. Schon 1922 verfügte die Reichsregierung per Notverordnung ein Streikverbot. Seitdem wird dieses Verbot als Teil der „hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums“ von den deutschen Gerichten aufrechterhalten. Zwar wird den Beamt*innen das Koalitionsrecht nicht abgesprochen, sie haben das Recht, sich in Gewerkschaften zu organisieren und mit den Arbeitgebern über Gehalt und Arbeitszeit zu verhandeln, aber Beamtenstreiks wurden immer wieder mit Sanktionen geahndet.

Erste Streiks der GEW trotz Beamtenstreikverbot

Schon 1922 hatte der Bremer Lehrerverein, die Vorgängerorganisation der GEW, sich in seiner Satzung als „Berufsgewerkschaft“ definiert und das Mittel des Beamtenstreiks für sich in Anspruch genommen. Aber sehr lange konnte dieser Anspruch nicht eingelöst werden. Einen ersten Ansatz kollektiver Arbeitsverweigerung gab es 1954. Als der Senat die Pflichtstunden erhöhte, beschlossen die GEW-Mitglieder, Ausflüge, Schulfeste, Klassenfahrten, Hausbesuche, Fortbildungskurse und statistische Erhebungen zu boykottieren. Nach kurzer Zeit wurde die Pflichtstundenerhöhung wieder zurückgenommen.

In den 1970er- und 1980er-Jahren stand dann für die Gewerkschaften der Kampf um Arbeitszeitverkürzung im Mittelpunkt. 1979 fand in Bremen die bundesweit erste zweistündige Arbeitsniederlegung von Lehrkräften statt. Viele neu Eingestellte waren als Studierende an der 68er-Bewegung beteiligt gewesen und bereit zu spektakulären Aktionen mit einem gewissen Risiko. Außerdem hatte Bremen die jungen Lehrkräfte im Angestelltenstatus eingestellt, sodass die Kollegien gemischt waren. Die beteiligten Beamt*innen erhielten Einträge in die Personalakte, die aber bald wieder gelöscht werden mussten. Danach wurde die Arbeitszeit für Grund-, Haupt- und Realschullehrer*innen zwar abgesenkt, aber auf Kosten der Gymnasiallehrer*innen, die mehr Pflichtstunden bekamen.

Es blieb nicht bei diesem einen Streik für Arbeitszeitverkürzung. 1989 streikten 4500 Bremer Lehrkräfte, Angestellte und Beamte gemeinsam, im Rahmen der Kampagne der Gewerkschaften für die 35-Stunden-Woche einen ganzen Tag lang. Mit einer Pflichtstundensenkung in der Primarstufe konnte ein Teilerfolg erzielt werden. Ebenso viele Lehrkräfte gingen 1997 auf die Straße, als die Pflichtstunden wieder um zwei heraufgesetzt wurden. In beiden Fällen gab es keine Disziplinierungen, sondern lediglich Gehaltsabzug für den Streiktag. Nach dem Angestelltenstreik von 2002 für eine Gehaltszulage wurden die meisten Lehrkräfte nachträglich verbeamtet. Gleichwohl sind heute die Kollegien auf neue Art in Statusgruppen gemischt. Während an den Schulen noch in den 1990er-Jahren fast nur Lehrkräfte tätig waren, besteht jetzt ein knappes Drittel aus Pädagogischen Mitarbeiter*innen, Sozialarbeiter*innen, Assistent*innen und Sprachförderlehrkräften, die im Angestelltenstatus beschäftigt sind.

Die Einbeziehung der Beamt*innen in die Tarifrunden

Die Föderalismusreform von 2006 ermöglichte es den Ländern, die Beamtengehälter nicht oder verspätet an das Tarifergebnis anzupassen. Bremen machte davon sofort Gebrauch. Jetzt war es notwendig geworden, die Beamt*innen mit der Forderung nach zeit- und inhaltsgleicher Übernahme des Tarifergebnisses stärker in die Auseinandersetzung einzubeziehen. So fand im Februar 2009 der erste Warnstreik der Schulen unter großer Beteiligung von Beamt*innen statt. Danach leitete die Bildungssenatorin Jürgens-Pieper 756 Disziplinarverfahren ein, die mit einer Eintragung in die Personalakte endeten. Diese musste nach zwei Jahren wieder gelöscht werden. Darüber hinaus wurde ein verschärftes Verfahren gegen die Landesvorstandssprecherin Elke Baumann wegen Aufrufs zum Streik begonnen. Nach heftigen überregionalen Protesten wurde es jedoch zurückgezogen. Ging es 2009 um eine Verzögerung der Übernahme, so kam es 2013 noch heftiger. Nach Abschluss des Tarifvertrages beschlossen Bremen und Nordrhein-Westfalen für die Besoldungsgruppen ab A 12 aufwärts eine Nullrunde. Die GEW rief für den 16. Mai zum Streik auf, und ca. 1000 Beamt*innen demonstrierten gemeinsam mit der Polizei vor der Bürgerschaft. Der Senat musste später in der Sache einlenken, weil der nordrhein-westfälische Verfassungsgerichtshof die Nullrunde für rechtswidrig erklärt hatte. Aber wiederum wurden Disziplinarverfahren eingeleitet.

Der Gang vor die Gerichte

Vor den Streiks von 2009 hatte die GEW es angesichts der herrschenden deutschen Rechtsprechung für aussichtslos gehalten, juristisch gegen das Beamtenstreikverbot vorzugehen. Aufgrund einiger Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ergab sich nun die Möglichkeit, prüfen zu lassen, ob das deutsche Verbot den Menschenrechten widerspricht. Zunächst gab es gegen einzelne Disziplinierungen Verwaltungsgerichtsprozesse, deren Urteile unterschiedlich ausfielen. Nach einem Gang durch die Instanzen stellte 2014 das Bundesverwaltungsgericht zwar fest, dass es einen solchen Widerspruch gibt, urteilte aber bezüglich des Streikrechts negativ. Zusammen mit den anderen Gewerkschaften legte die GEW daraufhin Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Mit einem ausgesprochen konservativen Urteil lehnte das BVerfG diese Beschwerde ab und entschied, dass die deutsche Rechtslage Priorität habe.

Der aktuelle Stand

Inzwischen liegt der Rechtsstreit beim EGMR. Die mündliche Verhandlung hat stattgefunden, aber ein Urteil steht noch aus. Und selbst wenn das europäische Gericht zu unseren Gunsten entscheiden sollte, bleibt bis zur Umsetzung in deutsches Recht noch ein langer Weg.

Klar ist aber auch: Die Erfahrungen mit den bisherigen Beamtenstreiks zeigen, dass nicht allein die Rechtslage über den Erfolg entschieden hat, sondern die besonderen politischen Umstände eine Rolle spielten – sprich: das Kräfteverhältnis. Bei großer Beteiligung und positiver Resonanz in der Öffentlichkeit konnte erreicht werden, dass Sanktionen nicht erfolgten oder sehr abgeschwächt ausfielen.